Der Bahnhof Küsnacht soll behindertengerecht umgestaltet werden – doch das angedachte Dach bergseitig gefällt nicht. Mittels eines Flugblatts weist ein Anwohner die Bevölkerung darauf hin, dass es so gross nicht geplant worden war.
«Dieses Monsterdach wurde so nie genehmigt.» – «Küsnacht ist kleinräumig; Sachte, zurückhaltende Lösungen sind angebracht.» So tönt es derzeit aus den Leserbriefspalten des «Küsnachters» (siehe Seite 2). Und so empfindet dies auch Reinhard Wolf, ein direkter Anwohner des Bahnhofs Küsnacht, kein Unbekannter im Dorf, da er vor ein paar Jahren die Initiative Gericke unterstützt hatte und so die Zentrumsüberbauung zu Fall brachte.
Wolf hat dieser Tage ein Flugblatt in seiner Nachbarschaft verteilt, das Klartext spricht: «Wehren wir uns gemeinsam gegen dieses unmögliche Dach!», denn: Das Dach, welches den bergseitigen Zugang vor Wind und Wetter schützen soll, wurde im 2017 an der Urne von den Küsnachtern im Rahmen der Kreditbewilligung über 9,1 Millionen Franken für das Gesamtprojekt mit den Massen 43 Meter Länge, 3,8 Metern Höhe genehmigt. Beim heutigen Projekt, das noch bis Ende Monat öffentlich aufliegt, misst die Länge des Dachs einiges mehr: 61,82 Meter, um genau zu sein, in der Länge; 6,82 Meter in der Höhe.
Einsprache gegen das Projekt
«Dieses Projekt strapaziert die Demokratie arg», sagt Wolf, deshalb wird er mittels einer Anwältin Einsprache machen. Bisher unterstützen ihn konkret 25 Personen – sie alle wollen das Ansinnen unterschreiben. Aber auch die Ortsparteien stehen hinter der Einsprache, wenn auch keine sich bisher zu einer eigenen Eingabe ausgesprochen hat. Eine Kurzumfrage dieser Zeitung zeigt: Die meisten sehen das aktuelle Bauvorhaben als ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gemeinde nicht mehr mit ihren Bürgerinnen und Bürgern im Dialog steht – nebst der Tatsache, dass das «überdimensionierte» Dach auch ihnen nicht gefällt.
«Wir werden einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt, analog zum Zentrumskreisel, der auch ohne unsere Zustimmung und gegen den Entscheid an der Urne plötzlich anderswohin verlegt wurde», sagt Peter Ritter vom Bürgerforum. Sein Flugblatt hatte damals bewirkt, dass die Sache mit dem Kreisel – die eine Angelegenheit zwischen dem Kanton und der Gemeinde, nicht wie beim aktuellen Bau zwischen der SBB beziehungsweise dem Bundesamt für Verkehr (BAV) und der Gemeinde ist – nochmals an die Hand genommen wird; der Fall ist noch hängig (der «Küsnachter» berichtete).
Lange verzögern möchte Flugblatt-Initiant Reinhard Wolf das Projekt am Bahnhof Küsnacht nicht. Wie auch die übrigen Kritiker des Dachs sagt er: «Der Umbau muss schnellstmöglich umgesetzt werden, deshalb werde ich von meiner Anwältin in die Einsprache auch eine Klausel einbauen lassen, die die Planung des Dachs abkoppelt vom restlichen Bau, der sofort gestartet werden soll. So bleibt Zeit für die Überarbeitung des Dachs.»
«Es ist höchste Eisenbahn»
Dass es vorwärtsgehen muss, sagt auch der zuständige Tiefbauvorsteher von Küsnacht, Walter Matti (parteilos), unmissverständlich: «Es ist höchste Eisenbahn, dass man am Bahnhof Küsnacht die Situation der Zugänge an die Hand nimmt.» Laut dem Behindertengleichstellungsgesetz müssten bis 2023 eigentlich alle Bahnhöfe in der Schweiz behindertengerecht gebaut sein, so jedenfalls schreibt es das BAV vor. Verzögert sich das Projekt in Küsnacht nicht wegen Einsprachen, dann könnten die Arbeiten Ende 2023 fertig sein, der Baustart ist für August 2022 vorgesehen. Das Projekt umfasst nebst dem bergseitigen Dach auch den Bau von Rampen und Liften auf der Berg- und Seeseite sowie auf den Perrons. «Die Steigung auf der Bergseite ist steiler und muss deshalb laut den Richtlinien der SBB überdacht werden», begründet Matti.
«Es stellt etwas dar»
Für den Tiefbauvorsteher selbst ist das aufgelegte Dach – im Fachjargon ein Baldachin, also ein Stahlrahmen mit Kunstglasfassade – eine «einladende» Variante, die etwas darstellt, sozusagen ein «würdiges Einfallstor» für Küsnacht. Ähnliches steht schon am Bahnhof Oerlikon-Zürich. Und noch ein Vorteil: Wegen seiner grösseren Dimension können im oberen Teil des Daches sämtliche Elemente der Kundenlenkung und -information sowie die indirekte Beleuchtung eingebaut werden. «Von aussen sieht man dann nichts mehr davon.» Zudem: Die tiefgreifenden Fassaden bieten Schutz vor dem Regen. Auch die Auflagen der SBB zu den Unterhaltsarbeiten führen dazu, dass das Dach insgesamt nun höher als geplant ausfällt. Für Matti ist das aber kein Umgehen des Volkswillens. «2017 ging es bei der Urnenabstimmung um die Genehmigung des Projektierungskredits und nicht um die plantechnischen Details.» Zudem sei das Projekt im Januar dieses Jahres mit dem heutigen Dach samt Visualisierung an einem politischen Abend vorgestellt worden – damals habe sich niemand mit einem Votum gemeldet. «Das erstaunt mich doch auch ein bisschen.»
Dach ist aus Feder des Architekten
Matti betont zudem, dass die SBB den Lead bei diesen Planungsarbeiten am Bahnhof Küsnacht haben. «Das Dach stammt aus der Feder eines Architekten aus der Planungsgruppe des Vorprojekts», so der Tiefbauvorsteher weiter. «Auf dem Areal der SBB können wir grundsätzlich nicht mitreden.» Auch damals nicht, als die Gemeinde 2017 noch die vollen Kosten für die Gesamtgestaltung hätte tragen sollen. Schliesslich zog das BAV die Schrauben des Behindertengleichstellungsgesetzes strenger an, sodass die SBB nun auch einen Teil – und sogar den grösseren, im Verhältnis von
58 zu 42 – berappen müssen. Eine weitere grosser Änderung zum Vorprojekt: Anstatt 9,1 Millionen kostet der Bau nun 11,3 Millionen Franken und dauert rund doppelt so lang wie geplant, nämlich eineinhalb Jahre. «Für beide Veränderungen verantwortlich ist vor allem der Umstand, dass die Totalsperrung der Gleise nicht möglich ist», so Matti.
«Und das Dach allein ist aber nur für den Mehrbetrag von 300 000 Franken verantwortlich.»
Maschinen stehen bereit
Bei den SBB ist Thomas Vollmar der verantwortliche Projektleiter für Küsnacht. «Wir haben uns viele Gedanken betreffend dieses Dachs gemacht», sagt er, «für uns ist es eine Einheit, welche die eher unruhige Gestaltung des Parkplatzes und der Gleisanlage vereinheitlicht.» Seiner Meinung nach ist es nicht denkbar, das Dach vom restlichen Projekt zu entkoppeln – wie das Beschwerdeführer Wolf plant, um den Bau nicht grundsätzlich zu verzögern. «Das letzte Wort hat hier aber das BAV», sagt Vollmar (siehe Box).
Wichtig ist es ihm zu betonen, dass logistisch bereits sehr viel Vorbereitung in das Projekt gesteckt worden ist: «Gewisse Maschinen müssen zwei Jahre im Voraus reserviert werden. Die stehen jetzt bereit.» Bei Einsprachen könnten sich die Arbeiten durchaus um weitere zwei Jahre verzögern. «Eine Alternative zu diesem Dach, welche die diversen funktionalen und ästhetischen Anforderungen besser erfüllt, gibt es aus unserer Sicht nicht.»
BOX
Die Kritiker des geplanten Dachs wollen den besseren Zugang zum Bahnhof Küsnacht nicht verzögern. Deshalb fragen sie sich: Kann es aus dem Gesamtprojekt herausgelöst und separat überarbeitet werden, während die Bauarbeiten starten? Zuständig für diese Frage ist das Bundesamt für Verkehr (BAV); es kann dazu aber noch keine Antwort geben. «Weil», sagt Pressesprecher Michael Müller, «die Frage Gegenstand des laufenden Plangenehmigungsverfahrens ist.» Grundsätzlich habe das BAV nach Artikel 18h Abs. 2 des Eisenbahngesetzes die Möglichkeit, Projekte in Etappen zu genehmigen, wenn «deren getrennte Behandlung die Beurteilung des Gesamtprojekts nicht präjudiziert». Ähnlich schwierig ist die Beantwortung der Frage, wer einspracheberechtigt ist. Sicherlich Anwohner und Organisationen, denen das Bundesrecht Beschwerdebefugnis einräumt. Parteien? Müller: «Unter gewissen Umständen kann eine politische Partei einspracheberechtigt sein. Das kann unter anderem davon abhängen, wie sie in der Einsprache argumentiert. Dies wiederum wird erst im Lauf des Verfahrens beurteilt.» Bislang sind beim BAV noch keine Einsprachen eingegangen. Die Frist läuft allerdings noch bis 28. September.