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Am Feierabend wird der Strassenbauer zum Gemüsebauer

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Aus dem Baustellenaushub an der Schiedhaldenstrasse in Küsnacht ist ein Gemüsegarten geworden, der die überhitzten Gemüter beruhigt und zwischen Anwohnenden und Bauarbeitern Frieden schafft. Eine ungewöhnliche Versöhnungsgeschichte von der Tiefbaufront.

Lärm, Staub und Dauerstau: Baustellen, zumal im öffentlichen Strassenverkehr, sind ein im Wortsinn anhaltender Quell von Ärger – ein notwendiges Übel, argumentieren die Verantwortungsträger bei der Tiefbaubehörde; mehr übel allerdings als notwendig, murren Autofahrer und Anwohnerinnen.

Das muss nicht immer und überall so sein: Eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser scheinbaren Gesetzmässigkeit stellt die Grossbaustelle im unteren Teil der Schiedhaldenstrasse in Küsnacht dar, wo seit April und noch bis zum nächsten Sommer der Belag saniert, eine Mischwasserleitung unter und ein Velostreifen neben der Fahrbahn angelegt werden. Zwar hatten diverse einschränkende Massnahmen – unter anderem ein Fahrverbot für den Schwerverkehr oder die Einführung eines Tempolimits auf 30 Stundenkilometer – bereits vor Beginn der Bauarbeiten für Unmut gesorgt. Zahlreiche Beschwerden waren beim Verwaltungsgericht gegen das geplante Verkehrsregime eingegangen.

Stets freundlich und gut gelaunt

Seit vor fünf Monaten die erste von drei geplanten Bauetappen in Angriff genommen worden ist, hört man statt Klagen immer mehr erstaunlich versöhnliche Töne: «Diese Bauarbeiter machen einen grossartigen Job», lobt eine Anwohnerin der Schiedhaldenstrasse. «Sie arbeiten hart – bei jedem Wetter – und sind doch stets freundlich und gut gelaunt.»

Sie ist so voll des Lobes über die Männer, die vor ihrem Haus die Strasse aufreissen, dass sie gelegentlich auch mal mit einer Glace als kühle Überraschung vorbeikommt. «Und heute», sagte sie am vergangenen Dienstag im Gespräch mit dem «Küsnachter», «heute werde ich ihnen einen Kuchen backen.» Ihren Namen möchte die Frau allerdings nicht in der Zeitung lesen. «Es gibt halt verschiedene Ansichten, nicht alle denken wie ich – darum möchte ich lieber anonym bleiben. «Ich bin ja auch nicht so wichtig; wichtig ist, dass man den Männern einmal ein Kränzlein windet, die sich für uns so ins Zeig legen!»

Dreamteam Wirz und Goncalves

Dieses Lob gebührt insbesondere den Polieren Reto Wirz und Manuel Goncalves, die für die Logistik auf dem Baustellen-abschnitt vor ihrem Haus verantwortlich sind. «Alle, die sich wegen unserer Bauarbeiten einschränken– die meisten Menschen, die hier wohnen, wie auch die Autofahrer, die an der Ampel warten müssen –, sind erstaunlich verständnisvoll und geduldig», sagt der 47-jährige Zürcher Oberländer Wirz. Und grinst: «Wir sind natürlich auch eingeschränkt: Die Rot-Phase an der Ampel, während der wir die Fahrbahn mit dem Dunper oder dem Muldenkipper überqueren können, dauert kaum eine Minute. Da kommt man sich dann schnell mal vor wie ein Chüngel, der dauernd ‹devoseckle› muss!»

Aus einem ganz anderen Grund fühlt sich auch sein Kollege Manuel Goncalves «buen wie ein coelho, wohl wie ein Kaninchen». Nach dem Feierabend verwandelt sich der 61-jährige Portugiese vom Strassenbauer in einen Gemüsebauern, der mit seiner Arbeitertruppe nicht nur frische Rüebli anpflanzt, sondern auch Kürbisse, Tomaten, Zwiebeln, Peperoni, Gurken, Kartoffeln, allerlei Salate und Kräuter – «halt alles, was der Boden so hergibt!».

«Der Humus ist fruchtbar!»

Dieser Boden ist ein begrünter Erdwall, den Goncalves hinter dem Parkplatz beim Schübelweiher aufgehäuft hat, gleich hinter dem Installationsplatz der Baufirma Walo, wo Baumaschinen, das Materialdepot der Baracken-Container für die Arbeiter lagern. Schon im Frühjahr, gleich nach Beginn der Bauarbeiten, erkannte Manuel, als er mit den Aushubarbeiten begonnen hatte, «wie fruchtbar dieser Humus ist». Er muss es wissen: Als Sohn eines Landwirts ist Manuel in Portugal aufgewachsen und als Schrebergärtner lebt er mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bassersdorf. «Wir werden hier noch ein Jahr lang diese Baustelle betreiben», sagt Reto Wirz. «Und da ist es doch besser», ergänzt der Kollege Goncalves, «wenn wir mit der ausgehobenen Erde, mit diesem wunderbaren Humus, etwas Vernüftiges machen.»

Mittagspause. Reto Wirz holt den frisch gebackenen Kuchen aus dem Kühlschrank, Manuel Goncalves stellt eine Schüssel mit Tomaten-Gurken-Salat dazu  – so viel, dass selbst hungrige Bauarbeiter nicht alles futtern können.

Was machen die beiden eigentlich mit dem Rest? Wäre das nicht ein Gegengeschenk – ein Dankeschön für die kuchenbackenden und kaffeebrauenden Hausfrauen in der Nachbarschaft ...

«Oh nein», lacht Manuel Goncalves. «Alles, was wir nicht essen können, gebe ich unseren zehn Arbeitern mit nach Hause – jeden Tag. «Die arbeiten auch hart, die brauchen gute Vitamine!»