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Auf Wasser zur Arbeit mit Kafi und Gipfeli

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Mit dem Gipfelischiff zur Arbeit fahren ist für viele ein kleines Highlight im Pendleralltag. Zweimal pro Monat ist es entlang beider Zürichseeküsten unterwegs. Das Coronavirus macht dem jedoch vorerst einen Strich durch die Rechnung.

Frühaufsteher am See haben wohl einen anderen Start in die Schiffssaison erwartet. Denn aktuell werden keine Menschen von den beliebten Schiffen der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) transportiert. Dies gilt auch für das von der ZSG unabhängig verkehrende Gipfelischiff. Am 20. März hätte es seine erste Fahrt vom Bürkliplatz aus gestartet und wäre entlang des unteren Seebeckens über Gemeinden wie Kilchberg, Thalwil und Küsnacht wieder beim Startpunkt angelangt.

Betrieben wird es vom Verein Gipfelischiff, der seine morgendlichen zweimal im Monat stattfindenden Fahrten aufgrund der Corona-Krise zunächst einstellen muss. Dabei habe sich der Verein selbst zu diesem Schritt entschieden, sagt Francine Progin, Vorstandsmitglied vom Verein Gipfelischiff. Die Fahrgäste haben dafür Verständnis. Ein Grossteil bleibe ohnehin zu Hause. Das sei neben den Massnahmen vom Bund ein weiterer Grund für den verschobenen Start, so Stefano Butti, Kapitän des Gipfelischiffs. «Bei so wenigen Leuten macht es daher keinen Sinn, die Fahrten durchzuführen. Dann lassen wir es lieber sein.»

Gipfelischiff stand oft vor dem Aus

Auch wenn der Verein das Wegfallen des Gipfelischiffs bedauert, ums Überleben kämpfe man zum Glück nicht. Denn die Fahrten sind im Grunde genommen kostenlos. In der Regel werden aber die Gäste dazu motiviert, am Ende der Fahrt einen kleinen Betrag zu spenden. Zudem leisten die 221 Vereinsmitglieder ihren Mitgliederbeitrag von 20 Franken. Weiter beteiligen sich auch einige Goldküstengemeinden. So hat Küsnacht letztes Jahr 2000 Franken gespendet und die beiden Gemeinden Erlenbach und Herrliberg je 500 Franken. Damit könne das Gipfelischiff gerade so erhalten bleiben.

«Es ist ein Luxus», gesteht Francine Progin und führt aus: «Aber auch ein Stück Lebensqualität. Um Gewinne ging es noch nie.» So arbeitet der Vorstand des Vereins ehrenamtlich. Lediglich die Kapitäne und Matrosen an Bord werden entlöhnt. Für diese sei das Ausfallen der Gipfelischiff-Fahrten ebenso wenig existenziell. «Bei gewöhnlich zwei Fahrten im Monat lebt man sowieso nicht davon. Das ist nur ein Zusatz», erklärt Schiffskapitän Stefano Butti.

Im Gegensatz zur aktuellen Situation traf es das Gipfelischiff früher um einiges härter. Es war eigentlich der Frühkurs 6 der ZSG, der entlang beider Ufer führte. Dieser Frühkurs hat sich im Volksmund unter dem Namen «Gipfelischiff» breitgemacht. Denn es war das Schiff, welches morgens seelängs Pendler mit Kaffee und Gipfeli versorgte. Aufgrund rückläufiger Fahrgastzahlen hat die ZSG 1978 die beidufrigen Frühkurse gestrichen. Gegenwind machte sich breit. Nur ein Jahr darauf wurde der Verein «Aktion rechtsufriges Frühschiff» (Aruf), heute bekannt als Verein Gipfelischiff, gegründet. Mit Erfolg: 1980 wurde die Route entlang beider Ufer wieder eingeführt unter der Bedingung, dass die Durchschnittsfrequenz 30 Personen betragen muss. Diese Anforderung wurde mit durchschnittlich 58 Fahrgästen an Bord bei weitem übertroffen.

1997 sah es wieder düster aus für das Gipfelischiff. Die ZSG hat seinen Frühkurs auf der linken Uferseite gestrichen. Elf Jahre darauf stellte sie seine morgendlichen Kurse vollständig ein. Dies zugunsten der Einführung von Abendrundfahrten. Der Verein Aruf trat 2009 erneut ein und übernimmt seither gemeinsam mit dem Verein Pro MS Etzel die Verantwortung für die Morgenroute der ehemaligen Frühkurse der ZSG. Das Engagement des Vereins ist bemerkenswert. Denn seine Mitglieder sind es, die das Schiff zweimal im Monat füllen. 2019 wurden 14 Fahrten mit durchschnittlich 72 Personen an Bord durchgeführt.

Als die Goldküste keine Züge hatte

Das Gipfelischiff ist geschichtsträchtig. Es ist die letzte noch erhaltene Pendler-Längsverbindung auf dem Zürichsee. Obwohl die heute bekannte Route des Gipfelischiffs seit 1914 besteht, die Blütezeit des Pendlerverkehrs zu Wasser geht auf den letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Der Vorläufer der ZSG, die Zürcher Dampfbootgesellschaft (ZDG) und die Schweizerische Nordostbahn (NOB), betrieben die Pendel-Dampfschiffe oder, wie sie von Pendlern genannt wurden, «Dampfschwalben». 1875 beförderten alleine die Schiffe der NOB rund 1,5 Millionen Passagiere. Ausgerechnet dieses Rekordjahr soll das Ende einer Pendlerära besiegeln. Am linken Seeufer fuhr im selben Jahr die erste Eisenbahn für Seeanwohner. 1894 dann auch an der Goldküste. Die Längsverbindungen auf dem Zürichsee wurden dadurch langsam, aber stetig abgebaut.

Die Mitglieder des Vereins Gipfelischiff erfreuen sich an der Tradition aus vergangenen Zeiten. Gemütlich auf dem See zur Arbeit fahren sei für viele ein Erlebnis. «Man findet hier kein Gedränge und keine grimmigen Gesichter vor, wie man es vom Pendeln mit dem Zug kennt», sagt Francine Progin. Sie geniesse die Fahrten auf dem Gipfelischiff sehr: «Das Gipfelischiff ist ein Stück Seefahrtsgeschichte. Es ist ein Relikt aus einer Zeit, in der das Pendeln anders ausgesehen hat.» Die MS Etzel trägt zu diesem nostalgischen Gefühl bei. Seit 1934 ist das Schiff auf den Gewässern Zürichs unterwegs, seit 2009 unter anderem für die Gipfelischiff-Fahrten.

Weltneuheit auf dem Zürichsee

Anderweitig sieht man das MS Etzel auf Rundfahrten, die vom Verein MS Etzel organisiert werden. Das Besondere an diesem Schiffsmodell ist sein Antriebssystem. Das Motorschiff Etzel ist das erste Schiff weltweit, welches mit einem sogenannten hydraulischen Verstellpropeller angetrieben wurde.

Dank dieses Systems kann das Schiff schneller seine Fahrtrichtung wechseln. Also schnell oder langsam vorwärts- und rückwärtsfahren. Das sorgt für Zeitersparnisse und der Bremsweg wird kürzer. (Dennis Baumann)