Schon vor der Flüchtlingskrise aus der Ukraine hat sich das Café International in Erlenbach etabliert. Ein Besuch zeigt, wie die niederschwellige Integration von Zugezogenen funktionieren kann – und für die Zukunft gerüstet ist.
Chiasamen-Crackers, Falafel, Baklava und M’hannscha, ein marokkanischem Mandelgebäck, liegen fein säuberlich in Schälchen angerichtet auf den runden Tischen. Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee erfüllt den Raum. «Die hier sind mit Orangenblüten und die hier mit Vanille», sagt Nora Tiken, während sie auf die verschiedenen Baklavasorten zeigt.
Die 35-Jährige ist in Casablanca geboren und wohnt seit acht Jahren mit ihrer Familie in Erlenbach. Jeden ersten Dienstagnachmittag im Monat bringt sie traditionelle Süssspeisen aus Marokko in das Café International mit, bei dem sich Menschen aus der Gemeinde und solche aus anderen Sprachregionen und Kulturen treffen. Das Begegnungscafé wird von der Reformierten Kirche Erlenbach in Kooperation mit dem Familienzentrum Flüügepilz organisiert.
Nora Tiken, die im Sommer eine Lehre als Fachfrau Gesundheit in einem Altersheim beginnen möchte, ist seit dem Jahr 2016, als das Café ins Leben gerufen wurde, mit dabei. Für sie ist der Treffpunkt nicht nur ein Ort, an dem über herausfordernde Alltagssituationen diskutiert und die deutsche Sprache verbessert wird. Es sei insbesondere auch ein Ort, «in der die Familie zusammenkommt», sagt die zweifache Mutter, währenddessen sie in die Runde schaut, in der ebenfalls Smriti Chhabra anwesend ist.
Über Missverständnisse lachen
Die 47-jährige Chhabra ist ursprünglich aus Delhi und absolvierte dort eine IT-Ausbildung. «Der Anlass bietet die Möglichkeit, neue Menschen zu treffen und die Integration zu fördern», sagt die Englisch sprechende Chhabra. Doch die Unterstützung bewege sich in beide Richtungen: «Wir empfangen und geben Hilfe.»
So konnte die 47-Jährige vergangenes Jahr einem Maturanden bei seiner Maturaarbeit helfen, indem sie ihm ihre Geschichte erzählte. Gemeinsam mit Nora Tikken, Sahar Alsammamre und Azza Sawaf sowie viel Unterstützung von Freiwilligen rief sie das «Catering Café International» ins Leben, bei dem die vier Frauen arabische und indische Speisen in die Region Erlenbach ausliefern. Dass das Projekt überhaupt entstand und die vier Frauen zusammenbrachte, sei dem Café International zu verdanken.
Die Menschen – vorwiegend Frauen –, die an diesem Nachmittag für zwei Stunden zusammentreffen, erzählen immer von demselben Gefühl – wenn auch nicht immer direkt: von der Schwierigkeit, die angeborene Kultur und die neue, also die Schweizer Kultur, miteinander zu vereinbaren. Dieses Gefühl kennt auch Azza Sawaf aus Damaskus sehr gut. «In diesem Café kann ich beide Kulturen ausleben: Zum einen nehme ich am Leben hier teil, indem ich dieses Angebot nutze. Zum anderen darf ich den Menschen etwas syrische Essenskultur näherbringen», sagt die 52-Jährige, nachdem sie zur Begrüssung allen eine selbst gemachte Gewürzmischung schenkte. Zudem könnten sie gemeinsam über alltägliche Missverständnisse lachen: «Als ich in die Migros einkaufen ging und mich die Kassiererin fragte, ob ich eine Cumulus-Karte hätte, antwortete ich: «Nein, ich bezahle mit Kreditkarte.»
Freiwillige springen in die Bresche
Dass es wichtig ist, Brücken zwischen den verschiedenen Kulturen zu schlagen, findet auch Regina Ehrbar, Sozialdiakonin der Reformierten Kirche Erlenbach (siehe Box). Sie leitet den monatlichen Austausch. Was sie besonders an ihrer Aufgabe schätzt, ist der Fortschritt, den sie in den Menschen sieht: «Es ist schön, zu sehen, wo diese vier Frauen beispielsweise am Anfang standen und wo sie jetzt stehen.» Im Alltag werden Migranten und Migrantinnen mit vielen sprachlichen und kulturellen Barrieren konfrontiert, was eine grosse Herausforderung darstelle. Dieser vielseitige Kulturschock werde von den Behörden nicht aufgefangen – also müssen Freiwillige in die Bresche springen. Eine von ihnen ist Hedy Anderegg.
Als die Pensionärin in der Kirchenpflege aktiv war, wurde das Café ins Leben gerufen. Heute präsidiert Anderegg den Verein Catering Café International und hilft an allen Ecken und Enden. «Unser Ziel ist es, die Menschen hier zu bestärken und sie zu befähigen, selbstständig zu sein», sagt sie. Auch in den umliegenden Gemeinden Küsnacht und Herrliberg entstanden 2016 solche Angebote. Das Café International der Katholischen Kirche in Küsnacht ist bis heute geblieben. In Herrliberg kann sich die Leiterin Soziales, Heidi Müller, einen Wiederaufbau des Angebots vorstellen, vor allem wegen der aktuellen Lage in der Ukraine. «Willkommen sind an solchen Anlässen alle Menschen – egal, woher sie kommen.»
40 Freiwillige helfen den ukrainischen Flüchtlingen
«Wir sind am rotieren», sagt «Cafe International»-Leiterin und Koordinatorin der Freiwilligenplattform Erlinet, Regina Ehrbar. Der Flüchglingsstrom aus der Ukraine reisst nicht ab, auch in Erlenbach haben sich bis Anfangs dieser Woche 20 Flüchtlinge gemeldet. 40 Freiwillige Erlenbacherinnen und Erlenbacher sind da, um ihnen zu helfen: Zum Beispiel als Deutschlehrerinnen und -lehrer (jeden Tag gibt es morgens und nachmittags je zwei Stunden Unterricht); dann wird psychologisches Coaching für die seelische Unterstützung angeboten; es gibt Einzelbegleitungen – «das kann spazieren oder auch mal nur ein Gang in die Migros sein», sagt Ehrbar. Schliesslich helfen die Freiwilligen auch als Übersetzer und bei der Wohungseinrichtung. «Es ist grossartig, dass sich bereits so viele Freiwillige gemeldet haben», sagt Ehrbar. Melden kann man sich immer noch, und zwar auf erlinet.ch. (moa)