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«Der Braten bleibt, die Nackten müssen weg»

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Die «Baracca» zelebriert Italianità vom Feinsten – inklusive Brasato al Barolo und der Pin-up-Girls. Doch am Wochenende schliesst das traditionsreiche Kultlokal. Das Pächter-Paar Domenico und Christine Guarnieri hofft indes, schon bald ein neues Restaurant eröffnen zu können.

Zwei Tage noch, dann heisst es: «Basta la pasta, finito La Baracca.» Ende Monat muss der Verein «Centro Creativo Stranieri» die Kult-Beiz «La Baracca» in Erlenbach schliessen. Das traditionsreiche ­Lokal, bei Freunden der italienischen ­Küche seit Jahrzehnten ein Geheimtipp, muss den Baggern weichen, die bereits ihre Schaufelzähne in die Erde gegraben haben: Der Steilhang bei der Erlenhöhe wird überbaut. Am Samstag wird Pächter Domenico Guarnieri zum letzten Mal seine köstlichen Knusperbrötli aus dem Ofen holen und den butterzarten Brasato al Barolo aufschneiden. Christine, seine Frau, wird noch einmal Blumen auf die Tische ­stellen und die Kerzen anzünden. Irgendwann gegen Mitternacht macht Domenico dann den Ofen aus und sie das Licht. Fünfzig bunte Glühbirnen unter der Decke und tausend kleine Girlanden-Lämpli an der Holzfassade werden erlöschen – für immer.

Ein Stück Lokalkultur stirbt

«Mit der ‹Baracca› stirbt ein Stück Lokalkultur», sagt die Mittsechzigerin. Und der Zürcher Publizist und Kulturschaffende Res Strehle pflichtet ihr bei: «Statt sie abzureissen», sagt der frühere Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», «hätte man die ­‹Baracca› unter Denkmalschutz stellen ­sollen.» Schon in den frühen Siebziger­jahren kehrte er regelmässig im «Centro Ricreativo Stranieri» ein, wie das Italo-­Lokal offiziell heisst. «Man bekam dort die besten Ravioli nördlich der Lombardei!» Auch Christine verbrachte in jenen Jahren ihre Freizeit oft im «Centro»: «Mir ging es allerdings weniger um Ravioli, als ums Boccia-Spiel», erinnert sie sich schmunzelnd. «Es war die Zeit, als viele Gast­arbeiter aus Italien zu uns kamen.»Von den Einheimischen noch wenig ­geliebt, schufen sie sich Rückzugsorte, an denen sie ihre Kultur pflegen und das Heimweh zelebrieren konnten. «Mit den Italienern», erinnert sich Christine, «kam aber auch ein Lebensgefühl in die Schweiz, das mich von Anfang an in seinen Bann gezogen hat.» Allerdings ahnten weder sie noch Res Strehle, dass sie einander ein ­halbes Jahrhundert später – sie als Gast­geberin, er als ihr Gast – dort wieder ­begegnen würden, wo sie sich schon als Teenager wohlgefühlt hatten. Christines Liebe zu allem, was aus dem südlichen Nachbarland kam, entbrannte besonders heftig, als sie an einer Party den smarten Sizilianer kennen lernte, der nicht nur ausgesprochen charmant war, sondern auch noch ein Künstler in der Küche. Bald schon wurde Hochzeit gefeiert – und mit Tochter Tiffany eine kleine Familie gegründet.

Roter Ferrari, Pin-up-Girls

Etwa zur selben Zeit, kurz vor der Jahrtausend­wende, hatte Gennaro d’Orsi in Erlenbach die «Baracca»-Pacht übernommen – ein stiller Schaffer, stets darauf bedacht, alles so zu belassen, wie es schon immer war: an der Wand das Poster mit dem roten Ferrari, daneben die Pin-up-Girls, kaum bekleidet, aber von der Natur üppig bedacht, in der Ecke funkelnde Flipper-Kasten, die Tische mit abwaschbaren Plastikdecken bezogen. Selbst ein alter ­Öl-Ofen, der die Luft so herb aromatisiert, fehlte nicht – und ganz hinten der Flachbildschirm, aus dem sonntags die Motoren der Formel-1-Boliden brüllten. Als Gennaro sich vor vier Jahren in den Ruhestand zurückzog, liessen Domenico und Christine Guarnieri sich die Gelegenheit nicht entgehen, diese Pacht zu übernehmen – und die «Baracca» «ganz sanft» zu renovieren: Der rote Ferrari hat dem berühmten Schwarz-weiss-Poster weichen müssen, auf dem elf Bauarbeiter hoch über Manhattan auf dem stählernen Ausleger eines Wolkenkratzers sitzen. Die plastifizierten Tischbezüge haben rot-weiss-karierten Stofftischdecken Platz ­gemacht und auf jedem Tisch steht jetzt eine Kerze neben einer kleinen Vase mit Blümchen. Das kulinarische Angebot ist neuerdings auch auf einer Menü-Karte ­ablesbar, bereichert durch Artischocken an Weissweinsauce sowie mit Käse und Tomaten überbackenen Auberginen und Gamberoni an Knoblauch-Tagliatelle.

Eigentlich hätte Christine auch ganz gerne die alten Postkarten mit den – mittlerweile ebenso sexistischen wie historischen – Darstellungen barbusiger Damen von der Wand geholt; doch die feministische Absicht scheiterte am männlichen Veto aus dem Vereinsvorstand: Die Busenbilder müssen bleiben! Jetzt prangen die prallen Rundungen in einer Vitrine hinter Glas geschützt – wie heilige Reliquien aus einer fernen Vergangenheit. Die nahe Zukunft sieht hoffnungsvoll aus: «Gut möglich», freut sich das Wirtepaar, «dass wir schon bald wieder kochen und servieren können!» Die Verhandlungen seien weit fortgeschritten. Wenn ­alles klappt, eröffnen sie schon bald in ­einer Nachbargemeinde. Dort soll dann auch die bewährte Menü-Karte wieder auf dem Tisch liegen. «Die Nackedei-Post­karten allerdings», schmunzelt Christine Guarnieri, «die werden verschwinden – für immer. Wie die alte ‹Baracca›.»