An der Goldküste hat die Morchelsaison begonnen und damit das alljährliche Pilzfieber – das sich von jenem klassischen Fieber im Herbst unterscheidet. Was es mit den begehrten Köstlichkeiten im Frühling auf sich hat, welche am besten schmeckt und warum die Delikatesse so teuer ist.
Hans-Peter Neukom
Wenn die Schlüsselblumen und Krokusse uns mit ihren Blüten erfreuen und die ersten Gewitter mit Blitz und Donner niedergehen, dann findet der Küsnachter Pilzkontrolleur Jonas Brännhage regelmässig Morcheln. Bereits habe er dieses Jahr Spitz-Morcheln gefunden, etwa am Pfannenstiel. Auch der Küsnachter und erklärte Morchelliebhaber Kenneth Angst wurde kürzlich im Erlenbacher Tobel fündig. Mehr geben die beiden Männer allerdings dazu nicht preis, denn die begehrten Morchelplätze in der Region bleiben ihr Geheimnis.
Im Frühling erwacht bei manchen Pilzsammlern das Morchelfieber. Wehren können sie sich kaum dagegen und eine Impfung gibt es nicht. Es zehrt zwar an ihren Kräften, aber treibt sie dennoch unaufhaltsam an: Den Blick stur nach unten gerichtet, pilgern sie jeden Frühling Bachläufen entlang, an die Gestade bewaldeter Seeufer und in Auenwälder. Dies sind nämlich die bevorzugten Standorte der begehrten Delikatesse. Linderung verschafft ihnen dabei nur das Finderglück. Mit dem Ende des Frühlings klingt das Morchelfieber dann von selbst wieder ab.
Warum die Morcheln aber ausgerechnet im Frühjahr erscheinen und nicht im Herbst, der klassischen Pilzsaison, bleibt ein Rätsel der Natur, das sie nicht preisgibt.
Schweigende Sammler
Um die Köstlichkeit überhaupt in erfreulicher Zahl zu finden, muss erst einmal «gut gelogen» werden, das besagt eine französische Spruchweisheit. Es heisst, dass Morchelsammler ihre Standorte nie verraten. Aber es gibt immer wieder Anfänger, die es wagen, erfahrene Sammler zu fragen, wo sie denn nun Morcheln finden können. Meistens wird ihnen dann nur eine enttäuschende Antwort zuteil: überall.
Wem jedoch eigenes Sammlerglück beschieden ist und wer auch ausserhalb der Saison nicht auf sein beliebtes Steak an Morchelsauce verzichten will, kann seine selbst gefundenen Morcheln problemlos trocknen: Die Morcheln vor dem Trocknen halbieren, um eventuell störende Steinchen und Schnecken zu entfernen. Vor Feuchtigkeit geschützt, lassen sich diese sogar über Jahre aufbewahren.
Morcheln im eigenen Garten
Erste Fruchtkörper der Spitz-Morcheln können im Flachland kurz nach der Schneeschmelze und in höheren Lagen bis in den Juni hinein erscheinen. Die Speise-Morchel fruktifiziert in der Regel etwas später, je nach Witterung von April bis Ende Mai, und fehlt in Gebirgslagen. Standorte sind Auenwälder, Sandböden in Flussnähe, Brandflächen und Parks, bevorzugt bei Eschen. Morcheln können aber auch unter Obstbäumen, auf übermoosten Baumstrünken, ja sogar in Gärten gefunden werden. Dies bestätigt auch einer der drei Küsnachter Pilzkontrolleure. «So kontrollierten wir in den letzten Jahren, auf telefonische Anfragen erstaunter Hausbesitzer hin, Spitz-Morcheln aus ihren Gärten», sagt Pilzexperte Jonas Brännhage.
Offensichtlich sind bestimmte Nadelholz-Rindenschnitzel – zum Schutz vor Unkraut in Gartenbepflanzungen – ein bevorzugter Nährboden für Spitz-Morcheln. Warum also stundenlang erfolglos und frustriert durch die Wälder streifen, wenn die Köstlichkeit gleich um die Ecke in den frisch bepflanzten Rabatten wächst?
Der Spuk ist allerdings im nächsten Jahr bereits wieder vorbei. Vermutlich sind die Nährstoffe der Rindenschnitzel für das Wachstum der Pilze schon bald aufgebraucht. Deshalb ist es wenig sinnvoll, sich diese Fundstellen einzuprägen.
Teure Delikatessen
Um den Bedarf der Morchelgourmets in der Schweiz zu decken, werden getrocknete Spitz- und Speise-Morcheln tonnenweise aus Indien, Pakistan, China, Kanada, USA und frische vorwiegend aus der Türkei importiert. «Je nach Ernte werden weltweit pro Jahr durchschnittlich rund 250 bis 300 Tonnen getrocknete Morcheln produziert. Davon gelangen schätzungsweise 15 Prozent in die Schweiz zum Verkauf», erzählt Xaver Schmid, Mitglied des Vereins für Pilzkunde Zürich und Handelspilzkontrolleur für verschiedene Pilzimportfirmen.
Das ist aber nicht weiter erstaunlich, wenn man die hohen Preise der Köstlichkeit betrachtet. Denn in der Schweiz gibt man immer noch gerne Geld für Delikatessen aus. Die Preise richten sich dabei streng nach Angebot und Nachfrage. Anfang Saison sei für ein Kilo frischer Spitz- Morcheln mit 150 bis 200 Franken zu rechnen. Gegen Ende der Saison fällt der Preis in der Regel stark.
Bei importierten, getrockneten Morcheln, die das ganze Jahr über in verschiedenen Lebensmittelgeschäften zu kaufen sind, kostet das Kilo im Delikatessenladen gut 800 Franken, betont Pilzexperte Schmid.
Welche schmeckt besser?
Die Morchel ist eine Köstlichkeit, die auf der Speisekarte keines Meisterkochs fehlen darf. Ob getrocknet oder frisch: Darüber zu diskutieren lohnt sich genauso wenig wie über das Problem zu streiten, welche nun die schmackhaftere sei. Der berühmte französische Koch Auguste Escoffier hat nämlich diese Frage in seinem Gourmetführer wie folgt beantwortet: «Es gibt zwei Morchelarten: die helle Speise-Morchel und die dunkle Spitz-Morchel, über deren gastronomischen Wert sich ein Streit erhoben hat, der kein Ende findet, aber leicht beigelegt werden könnte, da beide Arten ausgezeichnet sind.» Viele Köche aber bevorzugen getrocknete Morcheln, da diese durch ihr intensiveres Aroma gehaltvoller als frische schmecken. Fest steht jedoch eines: Morcheln stellen in der Küche ihres sinnlichen Geschmacks wegen etwas Exklusives dar, und entsprechend tief muss der Liebhaber in den Geldbeutel greifen.
*Nach telefonischer Vereinbarung können Sammlerinnen und Sammler auch im Frühjahr ihre Pilzfunde kontrollieren lassen. Infos zu regionalen Pilzkontrollstellen und Pilzkontrolleuren können über die Gemeinden oder unter www.vapko.ch eingeholt werden.