In ihrem Kreisladen hält Mariska Wieland so ziemlich alles feil, was gut und gesund ist – ohne Verpackung, dafür nachhaltig. Und ein bisschen wertvoller.
Aromatisch dampft der Kaffee in der Thermoskanne. «Den habe ich von zu Hause mitgebracht», sagt Mariska Wieland. «Ich wohne ja gleich um die Ecke.» Sie hat eine Sitzbank aufs Trottoir vor dem Laden gestellt und schenkt ein. «Es ist schon ein besonderer Kaffee – mit frisch gemahlenen Bohnen aus Kolumbien. Normalerweise gäbe es den auch imLaden, aber noch haben wir ja Sommerferien.»
Vor zwanzig Monaten hat die 56-jährige gebürtige Holländerin an der Unteren Heslibachstrasse 19 ihren Kreisladen eröffnet. Kreisladen? Es gehe um das Prinzip der zirkulären Wirtschaft, erklärt Mariska Wieland: «Wenn wir global Handel treiben und auf jegliche Verpackung verzichten, können wir uns auf das Produkt beschränken und der Natur zurückgeben, was von ihr gekommen ist – so schliesst sich der ökologische Kreis.»
Ein Tempel der Nachhaltigkeit
Längst ist das Eckhaus mit der auffällig ockerrot getünchten Fassade zu einem Tempel der Nachhaltigkeit geworden. Unter den annähernd 900 Produkten, auf die das Sortiment mittlerweile angewachsen ist – Lebensmittel, Pflanzen, Gewürze, Textilien, Haushaltsartikel, Pflegeprodukte, aber auch frische Suppen und Snacks; alles umweltschonend produziert und, wenn überhaupt, plastikfrei verpackt –, ist der Kaffee der Top-Seller.
Das liegt vor allem an der Qualität und an der Symbolkraft der Kaffeebohne, aber auch an der historischen Hypothek, die viele europäische Staaten, aber auch Nordamerika, vor drei-, vierhundert Jahren auf sich geladen haben und deren moralische Schuld sie noch immer belastet: Imperialisten, Sklavenhändler und Kolonialherren haben den Nährboden für ein globales soziales Gefälle geschaffen; es löste blutige Kriege aus und Flüchtlingsströme, die bis heute anhalten. Die Niederlande suchten im ausgehenden Spätmittelalter die Karibik, südamerikanische Gebiete, das südliche Afrika und viele Länder im Fernen Osten heim – erst mit einer Armada von Kriegsschiffen, später mit der Handelsflotte. Die Folgen: Ausbeutung und Elend in der Fremde, unermesslicher Reichtum in der Heimat.
Sie kämpft für den Meeresschutz
Damals war De Rijp eine kleine Insel vor der holländischen Nordseeküste, deren Bewohner vom Walfang und von derFischerei lebten. Doch im Winter 1965, als Mariska van Stekelenburg, die Tochter einer Schneiderin und eines Amsterdamer Beamten, geboren wurde, war das Meer nicht mehr da. Man hatte es, um urbares Land zu gewinnen, zurückgedrängt; heute weiden Kühe auf dem Polder. Einmal im Jahr lassen die Menschen die Vergangenheit aufleben. «Dann ziehen die Kinder in historischen Kostümen durchs Dorf», erinnert sich Mariska und zeigt auf einem verblichenen Klassenfoto auf das dritte Kind in der untersten Reihe: «Das bin ich, ich war zehn damals.»
Deutlicher noch ist ihr allerdings ein Bild in Erinnerung, das rückblickend prophetischen Charakter erhalten hat: «Vier Jahre später wurde unsere Klasse eingeladen, an einer Spielshow fürs Fernsehen teilzunehmen. Wir sollten eine Kulisse gestalten – es ist ein düsteres Bild geworden: Ein verbrannter Wald, verkohlte Äste, die sich wie mahnende Finger vor einem glutrot leuchtenden Himmel erheben.»
Sie schenkt Kaffee nach, von der reformierten Kirche schallt das renovierte Glockengeläut herüber; in den Nachrichten ist einmal mehr der Klimawandel zum Brennpunktthema erhoben worden, gefolgt von der aktuellen Sommerhitze, Feuerwerksverboten in der Schweiz – und im Berliner Grunewald tobt ein unkontrollierter Grossbrand rund um ein Brennstoffdepot.
Hinter Mariskas Rücken, im Schaufenster des Kreisladens, machen dramatische Plakate der Meeresschutzorganisation OceanCare auf eine Gefahr aufmerksam, die das Leben in den Meeren akut bedroht: «Plastik, den wir in Massen produzieren und achtlos wegwerfen, landet dort, wo man ihn nicht mehr sieht; dort, wo das Leben herkommt – im Meer, das den grössten Teil des Planeten bedeckt. Darum unterstütze ich die Meeresschützer und verkaufe meine Waren unverpackt.»
Mariska war knapp achtzehn, als sie sich an Bord des Rhein-Kreuzfahrtschiffes «MS Ursula» anheuern liess und an der Schiffsbar den Durst der Passagiere löschte – von Amsterdam bis nach Basel. «Damals ahnte ich allerdings noch nicht, dass ich mit dieser Reise in die Schweiz die Weichen für mein weiteres Leben gestellt hatte.» Zunächst hat es sie von De Rijp nach Peist verschlagen, ziemlich genau tausend Kilometer weiter südlich und 1400 Meter über dem heimatlichen Meeresniveau. In dem 200-Seelen-Bergdorf im Bündner Schanfigg hatte sie einen Job in einem Restaurant angetreten und machte die «erstaunliche Erfahrung, wie respektlos in der Schweiz Menschen behandelt werden, die im Service arbeiten».
Vom Globus an die Goldküste
In Chur fand Mariska einen Bündner, der sie vor den Traualtar führte. Als sich herausstellte, dass die Ehe kinderlos bleiben würde, beschloss sie, das Handelsdiplom abzuschliessen und im Warenhaus Globus die Karriereleiter hochzuklettern. Innert achtzehn Jahren brachte sie es bis zur Verkaufsleiterin und machte eine weitere bittere Erfahrung: «Beruflicher Erfolg macht auch nicht glücklich – im Gegenteil: Bald ging es nur noch um Sparübungen und Gewinnmaximierung auf Kosten der Mitarbeitenden. Das war nicht meine Welt, ich fühlte mich krank, ausgebrannt – und dann ging auch noch die Ehe in die Brüche ...»
In dieser Situation tat ein radikaler Kurswechsel Not: Mariska verlegte ihren Lebensmittelpunkt an die Goldküste, fand eine Stelle als Betreuerin in der Erlenbacher «Martin Stiftung» für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Nun traten zwei Menschen in ihr Leben, die sie zurück auf Glückskurs brachten. Der erste war Jörg Wieland, ein Elektroingenieur und leidenschaftlicher Sportsegler, der für die betreuten Menschen in der Stiftung einen Segelplausch auf dem See organisierte.
Für Mariska war der zweite Mann ihres Lebens die grosse Liebe auf den ersten Blick. Sie zog bei Jörg in Küsnacht ein – und wurde zu ihrer grossen Überraschung doch noch schwanger: Sohn Robin ist heute 15 Jahre alt. Die zweite Begegnung war ihre Landsfrau Theodora van ’t Hoff, die einen Vortrag zum Thema «Zero Waste» hielt. Mariska war auf Anhieb fasziniert von der Erkenntnis, dass die Zukunft des Planeten im harmonischen Dreiklang zwischen ökologischem Bewusstsein, ökonomischer Vernunft und sozialer Gerechtigkeit liegt – will heissen: «Wir müssen gleichermassen Respekt vor den Bedürfnissen der Menschen und der Natur haben – und das zu einem fairen Preis.»
Kaffee kommt mit dem Segelschiff
Mit Feuereifer arbeitete sie zusammen mit Theodora van ’t Hoff das Konzept des Kreisladens aus – ziemlich genau nach dem Vorbild der populären «Unverpackt»-Philosophie: «Im Kreisladen bekommt man nahezu alles, was gut und gesund ist; man muss nur die eigenen Töpfe und Beutel mitnehmen, um die Waren mit nach Hause tragen zu können.» Als vor zwei Jahren ein Atelier zur Miete ausgeschrieben wurde, das exakt den Anforderungen des geplanten Kreisladens entsprach, war das für Mariska «ein Geschenk des Himmels!».
So weit – so gut? Zwei Fragen sind allerdings noch offen. Die erste: Wenn das unverpackte Produkt im Kreisladen deutlich mehr, oft gar doppelt so viel kostet wie derselbe Artikel im Supermarkt, können sich nur noch die Reichen diesen Luxus leisten. Ist das sozial gerecht?
So seien nun einmal die Gesetzmässigkeiten des Marktes, erklärt Mariska. «Wir haben verlernt, den Wert von gesunden Lebensmitteln zu schätzen, die nachhaltig produziert, fair gehandelt und nicht über weite Strecken transportiert werden.» Aha. Und wie ist das – und damit sind wir bei Frage Nummer zwei – mit dem Bestseller Kaffee? Kaffee, der vonKolumbien nach Europa um die halbe Welt verfrachtet wird?»
Da schmunzelt Mariska Wieland: «Der Kaffee im Kreisladen wird mit reiner Windenergie transportiert – von Südamerika bis zum holländischen Zielhafen wird er im Bauch von Segelschiffen über das Meer geschippert! Das ist nicht nur Zero Waste – das ist auch Zero CO2!»
Einst wurden die Bauern in tropischen Anbaugebieten ausgebeutet, wenn Kolonialherren mit grossen Schiffen die Früchte ihrer Arbeit abtransportieren. Heute kommen die Europäer mit ähnlichen Schiffen angesegelt – und bieten Gewähr, dass der Pflanzer für gute Bohnen einen guten Preis bekommt.
Fazit: Wenn es um ökologische Vernunft geht, muss das Gleiche nicht dasselbe sein. Manchmal ist es sogar dessen exaktes Gegenteil!
Als Nächstes: Bettina Dührkoop
Dies ist die dritte Folge unserer vierteiligen Sommer-Stafette. Dabei bestimmt jedeporträtierte Person, wer ihr Nachfolger sein soll. Mariska Wieland hat sich für dieUnternehmerin, Winterschwimmerin und Mut-Preis-Gewinnerin Bettina Dührkoop entschieden.