Er ist hart, schmeckt nach Honig und trägt ein feines Muster: Der Zürich-Tirggel. In der Backstube der Stiftung St. Jakob im Kreis 5 backen Tag für Tag bis zu zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das über 500-jährge Traditionsgebäck.
Der Duft von süssklebrigem Honig liegt in der Luft. Es ist warm, fast ein bisschen feucht. Die Mitarbeitenden sind konzentriert. Sie tragen schwarz-weiss karierte Hosen, weisse Westen mit Schürzen, weisse Hygienenetze über die Haare gestülpt. Atemmasken in unterschiedlichsten Farben und Mustern bedecken Mund und Nase. Sie sprechen kaum miteinander. Der Backofen surrt leise, Ventilatoren blasen die feuchte Luft trocken. Mehl stäubt durch den Raum.
Die Tirggel-Backstube in der St.-Jakob-Bäckerei ist praktisch eingerichtet. Links und rechts den Wänden entlang stehen meterlange Arbeitsflächen aus Holz und Chromstahl. Der Backofen, die Teigwalze, sowie eine Teig- und zwei Verpackungsmaschinen teilen den Raum in die verschiedenen Produktionsstationen. Durch zwei grosse Glasscheiben sieht man in andere Abteilungen der Bäckerei. Auf der einen Seite in die grosse Backstube, wo Brote, Wähen und Kuchen entstehen. Auf der anderen Seite beim Traiteur stellen Mitarbeitende Salziges wie Salate oder Sandwiches zusammen.
Das richtige «Gspüri»
Bis zu zwölf Mitarbeitende bereiten Tag für Tag das Ur-Zürcher Hartgebäck aus Weizenmehl, Wasser und Honig zu. Das Rezept findet man auf der Website der St.-Jakob-Stiftung. «Die Hauptzutaten sind kein Geheimnis. Vielmehr, wie man den Tirggel zubereitet», sagt Alexander Howden, Geschäftsführer der Stiftung und erklärt: «Dazu braucht man das richtige ‹Gspüri›.»
Das «Gspüri» hat Sonja Steinegger. Die gelernte Konditorin/Confiseurin steht vor dem speziell für das Gebäck gebauten Backofen. Jeder ihrer Handgriffe sitzt. Die Teigformen nimmt sie vom Blech und öffnet die Ofenklappe. Glühend heisse Luft schiesst aus der Öffnung, die auf der Haut beisst, steht man zu dicht daneben. Den Tirggel schiebt sie rein und schliesst die Luke wieder. Auf der Anzeige daneben kontrolliert sie die Temperatur und die Zeit: 400 Grad bei Oberhitze während 90 Sekunden. Eine Sekunde mehr oder weniger können zu viel oder zu wenig sein und die Qualität ist dahin. «Ein guter Tirggel ist auf der Oberseite goldbraun», so die Bäckerin. Alexander Howden greift in eine Kiste vor ihm und zieht ein bereits verpacktes Exemplar heraus. Er hält es ins Lampenlicht und sagt: «Wenn es durchschimmert und das Motiv gut erkennbar ist, dann sieht man das volle Kunstwerk.»
Sonja Steinegger öffnet die Backofenlucke erneut, zieht das Blech mit den fertig gebackenen Tirggel heraus und legt sie zum Auskühlen auf die Seite. Ventilatoren blasen darauf, damit sie nicht feucht werden. Wegen der Wärme in der Backstube. Howden gesteht: «Die Luftfeuchtigkeit ist ein Problem. Mit den Ventilatoren geht’s aber eigentlich ganz gut.»
Das Besondere am harten Flachgebäck sind die Muster, die die Mitarbeitenden vor dem Backen in den Teig pressen. Von den Handwerken der Zürcher Zünfte über das Grossmünster bis hin zu Wilhelm Tell oder der Arche Noah – die Tirggel erzählen Geschichten. Früher dienten sie sogar als Wanddekoration. Besonders zur Adventszeit hingen Tirggel an den Fenstern. Die weihnächtlichen Motive schimmerten im Tageslicht. Auch heute ist der Tirggel vor allem während der Weihnachtszeit gefragt.
Die Motive sind in Platten aus Birnenholz geschnitzt. Die Mitarbeitenden drücken von Hand die Platten in den Teig. Der CEO geht zum Aktenschrank, der neben dem Eingang steht, und öffnet die Tür. Darin reihen sich die am meisten gebrauchten Motivplatten aneinander. Insgesamt lagert die St.-Jakob-Bäckerei über 1000 Stück. Die älteste stammt aus dem Jahr 1640. Er zieht eine der schweren Platten hervor und erklärt: «Noch heute lassen wir Motive von Hand in Birnenholz schnitzen. Das kostet den Kunden bis zu 600 Franken. Wer es günstiger will, sendet uns das Motiv und wir drucken es mit dem 3D-Drucker aus.»
559 Jahre alt
Der Tirggel wurde 1461 zum ersten Mal in der Limmatstadt entdeckt. Anfang des 19. Jahrhunderts wäre er fast von der Schokolade und dem Marzipan verdrängt worden. Doch einige Bäcker pflegten das Handwerk des Tirggel-Backens weiter. Vor drei Jahren gab die Bäckerei Honegger ihr Wissen an die Stiftung weiter. Alexander Howden ist stolz, dass die über 500-jährige Tradition des Tirggel-Backens in der Bäckerei der St.-Jakob-Stiftung weiterlebt.
Von der Bestellung bis zum Ausliefern dauert es drei Tage: Teigmasse anrühren, den Teig über Nacht ruhen lassen, portionieren, auswallen, Muster eindrücken, backen, auskühlen und verpacken.
Vis-à-vis vom Eingang der Backstube ist eine grosse Fensterfront. Passanten, die vorbeigehen, können zuschauen, wie die Mitarbeitenden die ausgekühlten Tirggel zum Ausliefern vorbereiten. Vorsichtig packen sie portionenweise die dünnen Fladen in Zellophan und verzieren die Verpackung mit einer blauen Schlaufe und dem Label «Original Züri Tirggel». Schön verpackt rollen die Tirggel auf einem Trolley von der Backstube in die Lagerhalle. Von dort werden sie an die Kunden oder in eines der fünf hauseigenen Cafés ausgeliefert.