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Ein Künstler mit Einflüssen aus drei Kulturen

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Es sind Erinnerungsfetzen, Fragmente, die an seine Kindheit und seinen Heimatort in Brasilien erinnern: James Kudo, als einer der «100 Künstler der Zukunft» gewählt, stellt zurzeit in Erlenbach aus.

Wer rechtzeitig kam, konnte James Kudo live erleben: Er verbrachte die vergangenen zehn Tage als «Artist in Residence» in der Erlenbacher Python Gallery. «Ich hatte den brasilianischen Künstler schon lange im Auge», sagt Inhaberin Nicole Python. Seit fünf Jahren suchte sie nach einer Gelegenheit, James Kudo einzuladen. Und dann erfuhr sie, dass er diesen Sommer in Venedig weilte. «Da haben wir uns dann zum ersten Mal getroffen.» Ausgerechnet Venedig, das jetzt unter Wasser steht – auch in seinem Werk spielt Wasser eine zentrale Rolle.

Wasser als zentrales Element

Sein Geburtsort Pereira Barreto in Brasilien wurde 1990 überschwemmt, und ganze Stadtteile waren lahmgelegt. Es stellte eine der grössten Katastrophen zu jener Zeit dar. Der Künstler – der nicht mehr dort wohnte – besuchte den Ort, und traf auf kuriose Situationen: Brücken, die unter Wasser lagen, Strassen, die in die Tiefe eines Sees führten. «Das hat mich dazu inspiriert, Pereira Barreto als Grundlage für all meine Bilder zu nehmen.»

Die Stadt steht für seine Wurzeln, aber gleichzeitig auch für die ständige Veränderung. An solchen Silhouetten der Vergangenheit ist er interessiert. Er zeichnet sie als saftige Palmen, farbige Blumen, blau schattierte Wasserlinien. Darauf setzt er dann andere, eher abstrakte Erinnerungsfragmente: ein Stück rot-weiss gehäuseltes Tischtuch aus den 1970er-Jahren – das auch hierzulande präsent war. Oder genaue Holzstrukturen, die an Klebefolien in Küchen erinnern – im Kontrast zu den grellen Leuchtfarben, die Kudo nicht scheut.

«Das Besondere an James ist», sagt Nicole Python, «dass er figürliches und grafisches Malen vermischt.» Der Hintergrund sei floral und brasilianisch, das Darüber architektonisch und streng – «eine Reminiszenz an seine japanischen Wurzeln».

Eigentlich ist James Kudo selbst auch ein Fragment. «Ja», schmunzelt er, «von einem New Yorker wurde ich einmal darauf angesprochen. Dieser wusste, ich bin Brasilianer, er bemerkte aber auch, dass ich wie ein Japaner aussehe und einen amerikanischen Vornamen trage.»

Des Rätsels Lösung: James Kudos Eltern sind aus Japan nach Kalifornien eingewandert – sie tragen den japanischen Nachnamen Kudo. Geboren ist er in Brasilien. Und auch wenn er fliessend Japanisch spricht, sagt der Künstler: «Ich fühle mich ganz und gar brasilianisch.»

Galeristin Python, die den Gast aus Übersee nun schon seit ein paar Tagen als «Artist in Residence» bei sich zu Hause beherbergt, widerspricht mit einem Lächeln: «James hat ganz viele japanische und so ganz und gar nicht brasilianische Eigenschaften: Er kommt zum Beispiel nie zu spät.» Die Idee, James Kudo als Künstler in Residence nach Erlenbach zu holen, ist ein Versuch. «Für meine Kunden ist es spannend, dem Künstler beim Malen über die Schulter zu schauen.» Zudem sei es günstiger, ihn die Bilder vor Ort malen zu lassen, als diese aus Südamerika einfliegen zu lassen.

Auftrieb wegen Buch

James Kudo war schon vorher international bekannt. Als er aber für das 2017 erschienene Buch «100 Painters of Tomorrow» ausgewählt wurde, gab dies seiner Bekanntheit weiteren Auftrieb. Schon mit neun Jahren hatte er zu malen begonnen. Ein Freund nahm ihn damals mit in die Kunstschule. Seine Eltern hatten aber kein Geld – und doch, eine Woche später stand eine Box mit Farben in seinem Zimmer. «Mein inzwischen verstorbener Vater war sein Leben lang stolz auf mich», sagt er dankbar.

In seinen ersten Malstunden kopierte James Kudo die Werke der Grossen. Leonardo da Vincis «Mona Lisa» gelang ihm besonders gut. «Es war eine wichtige Phase und ermöglichte mir, mich in die Künstler hineinzuversetzen, sie wirklich zu spüren.»

Eine zweite gute Schule war die Stelle bei Kanebo, einer führenden japanischen Kosmetikfirma, die auch Stoffe herstellt. Da arbeitete er schon als 16-Jähriger und malte Stoffmuster  – diese finden sich heute augenfällig in seinen Werken. «Es war wie auf einem grossen Spielplatz, ich konnte die vielen Farben und Pinsel der Firma ausprobieren», erinnert er sich an diese Zeit.

Dann kamen aber auch schwierige Zeiten: Die Anstellung für eine Galerie in São Paulo: «Von mir wurden traditionelle Arbeiten verlangt, und alles, was ich in meinem ureigenen Stil entwickelte, gefiel nicht.» Selbstzweifel ergriffen den Künstler. Dabei hatte er sich längst von Gerhard Richter beeinflussen lassen, einem deutschen Maler, der für abstrakten Expressionismus steht. Zum Glück entdeckte ihn eine Galeristin mit einer modernen Ausrichtung, ganz per Zufall, und der eigene Stil James Kudos konnte seinen Lauf nehmen.

An der Vernissage in Erlenbach – zusammen mit drei weiteren Künstlern – war dann «full house», wie Galeristin Nicole Python erzählt. Das Bild, welches James Kudo während seines Aufenthalts gemalt hat, ist fertig. Er ist jetzt wieder zu Hause. Einlass gefunden hat das herbstliche Rot-Braun der Schweiz. Der Künstler findet die Schweiz: «Wow.» Er fühle hier genau, wie Van Gogh zu seinen warmen, leuchtenden Farben gekommen sei. (Manuela Moser)