Abo bestellen

Eine Million in nichts verwandelt

Erstellt von Isabella Seemann |
Zurück

Die Unternehmerin Ruth Van de Gaer Sturzenegger (54) wurde Opfer von perfiden Anlagebetrügern – und verlor Vermögen und Selbstwertgefühl. Heute macht sie anderen Betroffenen Mut. Und kommt demnächst für eine Lesung in die Buchhandlung Wolf nach Küsnacht.

Die Betriebsökonomin Ruth Van de Gaer Sturzenegger, die mit ihrer Familie an der Goldküste wohnte und heute in Vaduz, Liechtenstein, lebt, hatte sich ein Fitness-Unternehmen aufgebaut – mit Disziplin, Leistung und unbändigem Durchhaltewillen. Doch vor zwei Jahren stürzte ihre Welt ein: Innerhalb weniger Monate war fast ihr gesamtes Vermögen weg. Sie verlor nicht nur rund eine Million Franken, sondern auch ihre Selbstachtung. Ruth Van de Gaer Sturzenegger ist Opfer eines Online-­Anlagebetrugs geworden.

Wie zahlreiche andere Menschen auch ist die geschiedene Mutter zweier Kinder auf eine gefälschte Investment-Plattform hereingefallen. Hinter dem Betrug steht eine skrupellose Industrie, die ausser zerstörten Existenzen kaum Spuren hinterlässt. Um die Gesellschaft zu warnen und Betroffenen zu helfen, macht sie ihre Geschichte öffentlich. Am 28. Mai stellt Ruth Van de Gaer Sturzenegger in der Buchhandlung Wolf in Küsnacht ihr Buch «Nichts gegen eine Million» in einer Lesung vor.

Frau Van de Gaer Sturzenegger, als Ihnen die Investitionsmöglichkeiten vorgestellt wurden, was erschien Ihnen daran legitim?

Ruth Van de Gaer Sturzenegger: Nachdem ich in einem ersten Telefongespräch mit der Tradingfirma scherzhaft gesagt habe, ich hätte nichts gegen eine Million einzuwenden, erhielt ich einen Senior Broker als Betreuer, der keinen Hehl daraus machte, dass er selbst auch Geld verdienen und das Beste für uns beide herausholen wolle. Die Seniorität seiner Stimme, der formale Ablauf sowie seine Ausführungen über das Marktgeschehen machten ihn für mich glaubwürdig. Anhand aktueller Chartanalysen zeigte er auf, dass der Ausbruch des Ukraine-Kriegs der richtige Zeitpunkt sei, in Rohstoffe zu in­vestieren, um nachhaltige Gewinne zu erzielen. Dies deckte sich mit der damaligen Medienberichterstattung. Die Kursverläufe stiegen und stiegen, mein Handelskonto füllte sich. Je höher die Gewinne, desto sicherer fühlte ich mich und investierte immer höhere Summen. Was ich nicht wusste: Die Gewinne waren ein Fake.

Was hat Ihre Entscheidung zu einer Investition, die schnellen Gewinn verspricht, beeinflusst?

Es ging nicht um schnellen Gewinn, sondern um eine gewinnbringende Investition. Ich hatte massive Existenzängste. Wegen Covid-19 brach mein Fitness-Unternehmen zusammen. Mir wurde klar, dass mein Vermögen nicht bis ins Alter reichen würde ohne neue Einkommensquelle. Ich sah die Investition als Chance, mein Konto aufzufüllen und Reserven für die Zukunft anzulegen.

Was ging in Ihnen vor, als Sie erkannten, dass Sie, statt einer Million Gewinn zu machen, um eine Million betrogen wurden?

Ich war während drei Monaten massiv manipuliert und isoliert worden und war nicht mehr ich selbst. An jenem Schicksalstag, als es mir endgültig klar wurde, dass ich einem gigantischen Betrug zum Opfer gefallen war, brach meine Welt zusammen. Es zog mir den Boden unter den Füssen weg. In meiner neuen Wirklichkeit war nichts mehr so, wie es einmal war.

Was waren die psychologischen Folgen dieser Erfahrung?

Betrugsopfer verlieren nicht nur sehr viel Geld – oftmals sogar ihre Existenz –, sondern auch das Grundvertrauen in sich und in andere Menschen. Ich bin beinahe daran zerbrochen. Nur weil ich es absolut nicht zulassen wollte, dass mich ein Verbrecher bricht, entschied ich mich, wieder aufzustehen.

Was wissen Sie von diesem Betrüger?

Eigentlich nichts, da alles gelogen war. Er war kein Einzeltäter, sondern vermutlich Teil eines hochorganisierten, kriminellen Netzwerkes. Die Tradingfirma war im britischen Handelsregister eingetragen, ist aber nicht mehr auffindbar. Der Senior Broker war ein Meister der Manipulation. Wir telefonierten fast täglich. Ich dachte, dass ich einen gewissenhaften und professionellen Geschäftspartner an der Seite hatte, was ein fataler Irrglaube war. 

Wie war Ihre Erfahrung mit der Meldung des Betrugs an die Behörden hinsichtlich des Umstands, dass Sie weder bestohlen noch ausgeraubt wurden, sondern Ihr Geld freiwillig investierten?

Man hat mir klar gemacht, dass all die angeblichen Hinweise zum Täter, die ich in den Händen hatte, wie Telefonnummer und Fotos, gefälscht sind und ich mir keine Hoffnung machen solle, das Geld je wieder zu sehen. Die meisten Betrüger könne man nicht greifen und sie treiben ihr falsches Spiel lange weiter. Hin und wieder können die Verfolgungsbehörden in internationaler Zusammenarbeit einen Ring sprengen. 

Wer den Schaden hat, braucht für Spott nicht zu sorgen. Macht es dies besonders schwierig, die Verletzung, betrogen worden zu sein, zu verarbeiten?

Es befremdet mich, wenn die Opfer statt der Verbrecher als gierig verurteilt werden. Daraus spricht eine Ignoranz gegenüber der Funktionsweise dieser Betrugsmaschinerie. Genau darum stehe ich mit Namen und Gesicht hin, denn ich will warnen, aufklären und die Gesellschaft wachrütteln. Unter den Betrugsopfern befinden sich Handwerker und Professoren, Bankfachleute und Lehrer: Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und ihr Geld legitimerweise besser anlegen wollten als auf einem zinslosen Bankkonto. Die Täter erwischen die Opfer lediglich in einer ausserordentlichen Gefühlssituation, die einen an die Sache glauben lässt. Deshalb ist es ein Irrtum zu glauben, dass man selbst nie einem Betrug zum Opfer fallen könne. Wir sprechen von einer Schadenssumme von weltweit mehreren 100 Milliarden Franken. Die Betrüger werden immer dreister und mit Hilfe der künstlichen Intelligenz immer gefährlicher. 

Sie warnen vor dem sogenannten Recovery Scam. Was hat es damit auf sich?

Dabei handelt es sich um einen Folge-betrug, bei dem Opfer von Online-­Anlagebetrug erneut ins Visier von ­Be­trügern geraten: Fake-Anwälte oder vermeintliche Recovery-Unternehmen bieten den Geschädigten im Internet ihre Dienste zur Rückbeschaffung von verlorenen Geldern an – gegen Vorauszahlung. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen weiteren Betrugsversuch derselben Täter. Sie treten erneut auf Opfer ein, die bereits am Boden liegen.

Sie haben mit «The Bright You» eine Beratungsstelle ins Leben gerufen. Was ist Ihre Mission?

Vielen Betrugsopfern, sei es von Anlage-, Enkeltrick- oder Liebesbetrug, ist gemein, dass sie sich schämen und niemandem davon erzählen. Da ich dies selbst erfahren habe, ist es mir ein Herzensanliegen, Betrugsopfern zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Gemeinsam mit meiner Geschäftspartnerin Ayda Ergez wollen wir Geschädigte dabei unterstützen, den Weg in ihr Leben zurückzufinden. Durch unsere Lesungen mit Cyber Talk enttabuisieren wir das Thema Online-Betrug und sensibilisieren die Gesellschaft.

Was hat Ihnen bei Ihrem Erholungs­prozess besonders geholfen?

Ich habe mich mit Menschen umgeben, die mir zuhörten, ohne mich zu bewerten oder zu verurteilen. Von Besserwissern habe ich mich distanziert. Nicht zuletzt hat mir das Schreiben meines Buches geholfen, mich mit dem Trauma auseinanderzusetzen und zu verarbeiten.

Weitere Informationen für Betroffene unter: www.thebrightyou.com