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Für einen Moment die Pandemie vergessen

Erstellt von Dennis Baumann |
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Die Küsnachterin Corina Pfister machte ihre Wohnung jeweils am Sonntag zu einem Open House. Jeder war willkommen, ganz egal, ob geimpft oder ungeimpft. Fritz Zollinger und Christina Hurst-Prager waren bei ihr zu Besuch und erzählen, was sich daraus entwickelte.

Die Fallzahlen erreichen neue Höhen, Woche um Woche bahnen sich weitere Massnahmen an, die Fronten zwischen geimpften und ungeimpften Personen verhärten sich. Auch zur Adventszeit ­gehen Leute auf die Strasse und äussern ihren Unmut, man gibt sich gegenseitig die Schuld. Dieser Tendenz wollte die Küsnachterin Corina Pfister etwas ­entgegensetzen und schaffte bei sich zu Hause einen Ort, an dem politische ­Konflikte keinen Platz finden sollen.

«Open House: Ungezwungenes ­Zusammenkommen von Menschen, die sich nicht in eine Spaltung bringen ­lassen möchten zwischen Gepiksten und Nichtgepiksten, sondern einfach Mensch sein möchten», inserierte sie im November in dieser Zeitung. Pfister ist zurzeit abwesend und macht mit dem Open House eine Pause, doch die Gruppe, die bei ihr entstanden ist, trifft sich weiterhin.

Impfung kein Thema

Ob geimpft oder ungeimpft, es müsse doch Menschen geben, die trotz dieser Uneinigkeit miteinander auskommen können. Dieser Überzeugung ist Corina Pfister. Um zu beweisen, dass sich die ­Gesellschaft aufgrund der Impfung nicht spalten lassen muss, öffnete sie ­jeweils am Sonntag zwischen 15 und 17 Uhr die Tür in ihrer Stube und lud zu Kaffee und Kuchen ein.

Der Start verlief holprig. Trotz Inserat empfing sie an den ersten beiden Sonntagen keinen einzigen Gast. «Vielleicht liege ich falsch?», kamen bei ihr erste Zweifel auf. Beim dritten Anlauf sollte es aber klappen. Rund acht Personen, die sich alle nicht kannten, waren in ihrer Wohnung zusammengekommen.

«Auch wir sind erst beim dritten Mal dabei gewesen», erzählen Christina Hurst-Prager und Fritz Zollinger. Sie sind begeistert, in was für einem Umfeld sie sich wiedergefunden haben. Die Impfung? Kein Thema. Die Pandemie? Auch nicht. Die neuesten Massnahmen des Bundes? Ebenso wenig. «Wir kannten uns noch nicht, aber irgendwie spürte ich, dass wir alle auf derselben Wellenlänge unterwegs sind», so Zollinger.

Neue Freundschaften entstehen

Es sind allesamt Küsnachterinnen und Küsnachter, die sich bei Corina Pfister gefunden haben. «Obwohl wir aus demselben Dorf kommen, entstehen hier Kontakte, die man sonst nicht hätte knüpfen können», sagt der 72-Jährige. Hier sind Personen aus verschiedensten Hintergründen. Zollinger etwa arbeitete als Kulturingenieur und widmet sich seit der Pension seinem Zirkus Otelli.

Christina Hurst-Prager, auch pensioniert, kommt aus der Schwangerschaftsberatung. Das Alter innerhalb der Gruppe variiert zwischen 40 und 80 Jahren. «Wir sind uns einig, dass wir gegen die Spaltung der Gesellschaft sind. Trotzdem befinden wir uns nicht in der­selben Echokammer und können so viel von­einander lernen», sagt die 79-Jährige.

Man redet über alles Mögliche. Es können alltägliche Dinge sein, ein Erlebnis auf der Arbeit, ein spannender Roman oder sonstige Gedanken, die einem durch den Kopf gehen. «Der Umgang ist sehr respektvoll. Jeder Austausch wird ernst genommen», erzählt Hurst-Prager. Einer der Momente, welcher ihr besonders hängen geblieben ist, war, als ­jemand sich zu einem Thema äusserte und Pfister sie darum gebeten hat, diese Aussage positiver zu formulieren: «Da wurde klar, dass vieles von der eigenen Perspektive abhängt. Der Inhalt ihrer Aussage ist heute nebensächlich, aber dieser Moment war sehr lehrreich.»

Themen wie die Impfung kommen mit der Zeit auch zur Sprache. Sie sind kein Tabu, aber stehen alles anders als im Mittelpunkt. «Mensch sein, des­wegen bin ich hierhergekommen», erzählt Fritz Zollinger. Mit der Zeit wurde auch bekannt, wer in der Gruppe geimpft ist und wer nicht, doch für das Zusammenkommen und sich austauschen, sei das nie relevant gewesen: «Es tut gut, sich unverkrampft austauschen zu können. Gerade weil man sich zu Beginn nicht so gut kennt, ist man vielleicht etwas offener. Im Familien- und Freundeskreis ist die Impfung immer wieder Thema und dann verhärten sich die Fronten wieder.»

Das Open House für alle wird es dennoch wohl fürs Erste nicht mehr geben. Die Gruppe hat sich jetzt bereits gefunden. «Die Idee war zu Beginn schon, dass jeder willkommen ist. Ab einer gewissen Personenzahl wird es schwierig, genügend Platz zu finden. Zu zehnt sind wir damit gut bedient», erklärt Zollinger.

Wechselnder Treffpunkt

Seit Pfisters Abwesenheit wechselt der Treffpunkt. Die Gastgeber rotieren. Die Gruppe hat sich gefunden und diskutiert zurzeit, wie oft man sich treffen will, um das reichlich vorhandene ­Gesprächsmaterial zu verarbeiten. Zudem verselbstständige sich das Ganze, erklärt Hurst-Prager: «Erst letztens haben sich zwei aus der Gruppe getroffen, um miteinander etwas zu basteln. Schön zu sehen, wie man sich über gemeinsame Interessen finden kann.»

«Es wäre sicher gut, wenn es mehr ­solche Aktionen geben würde», sagen Zollinger und Hurst-Prager. In ein anderes Umfeld eintauchen, neue Inputs ­erhalten und einfach gesellig sein, das ist es, was die beiden am Open House schätzen. Die Gruppe plant auch für die Zukunft, am jeweiligen Tag ein bestimmtes Programm durchzuführen. Vom ­gemeinsam ein Buch lesen, Film schauen oder über ein vorgegebenes Thema diskutieren sind die Möglich­keiten nahezu grenzenlos.

Die Festtage werden allerdings immer noch im familiären Umfeld gefeiert. Für eine weihnachtliche Feier sei es in der Gruppe noch zu früh, meinen beide: «Wir kennen uns dafür noch nicht gut genug, aber keiner weiss, wie es nächstes Jahr aussieht.»