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Gedanken zur Zukunft des Menschen

Erstellt von Anna-Sofia Schaller |
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Die Reformierten Kirchen Herrliberg und Erlenbach haben zu einer Tagung über die Zukunft des Menschen geladen. Nebst Spitzenforschenden und Theologen sorgte auch Starphilosoph ­Peter Sloterdijk für geistreiche Denk­anstösse. 

Eine überhandnehmende künstliche Intelligenz, die Möglichkeit, verlangsamend in Zellalterungsprozesse einzu­greifen, oder gar die Aussicht auf digitale Unsterblichkeit – was wie ein Science-Fiction-Szenario anmuten mag, wird von einigen Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft als eine nicht allzu abwegige Möglichkeit in nicht allzu ferner ­Zukunft eingestuft. Bevorstehende technische Durchbrüche seien derart transformativ, dass mit ihnen sogar ein gänzlich neues Zeitalter für den Menschen ­anbreche: die Ära des Transhumanismus. 

Als philosophische Position besagt der Transhumanismus, dass die physischen und kognitiven Grenzen des Menschen durch die Mittel der Technik überwindbar seien, und formuliert die Forderung eines technisch optimierten Menschen. Die Position stösst nicht nur unter Philosophinnen und Philosophen hitzige Debatten an, sondern interessiert und provoziert weit über die Grenzen einzelner Disziplinen heraus.

«An der Schwelle zur neuen Zeit»

Der technische Fortschritt eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten, gleichzeitig zieht er eine Vielzahl ethischer Fragen nach sich. Somit steht die interdisziplinäre Tagung «Die Zukunft des Menschen», eine Zusammenarbeit der Reformierten Kirchen von Erlenbach und Herrliberg, ganz im Zeichen des technisch Machbaren und ethisch Vertretbaren.

An vorderster Front in die Planung involviert ist auch der Erlenbacher Pfarrer Andreas Cabalzar, der diesen Sommer nach 30 Jahren im Pfarramt in Rente gehen wird. Zur Einführung sinniert der Pfarrer über Fitnessstudios und Schönheitszenten, die er als die Sichtbarwerdung eines allgegenwärtigen Optimierungszwangs deutet, der das menschliche Leben zunehmend bestimmt. «Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Zeit, in der sich Menschen selbst verbessern müssen und können, wie nie zuvor», lautet die Zeitdiagnose des Pfarrers.

Auch Alexander Heit, Pfarrer in Herrliberg und Dozent an der theologischen Fakultät Basel, richtet das Wort an die über 200 Anwesenden. Dabei bringt er das Tagesthema mit dem aktuellen Ukrainekrieg in Verbindung: «Können sich Menschen so optimieren, dass eine Katastrophe wie diese vermieden werden könnte?» So gibt Heit der Hoffnung Ausdruck, dass der Transhumanismus zu ­einer moralischen Verbesserung des Menschen beitragen könne. In ihren jeweiligen Ansprachen vermitteln die Pfarrer sowohl Skepsis als auch Hoffnung in Hinsicht auf Transhumanismus, der also scheinbar sowohl utopische als auch dystopische Zukunftsvisionen hervorzurufen vermag.

Parallelen zum Christentum

Im Anschluss zeichnet Harald Matern, Pfarrer in der Tituskirche Basel und Dozent für systematische Theologie, unerwartete, doch allemal offensichtliche Parallelen zwischen dem Christentum und dem Transhumanismus. Der Theologe betont, dass Zukunftsantizipation nicht nur von Tech-Visionären praktiziert würde: «Ganz ähnlich wie die Visionäre im Silicon Valley betreiben Theologen eine Arbeit am Bild unserer Zukunft.» In der christlichen Theologie vollziehe sich diese Zukunftsantizipation durch die Beschäftigung mit göttlichen Prophezeiungen und Visionen. 

Eine weitere Schnittstelle des Transhumanismus und der christlichen Religion ist der Appell zur Optimierung des Menschen: Das Christentum verstehe sich als «Religion der Weltverbesserung», zumal sie eine moralische und spirituelle Verbesserung des Menschen anstrebe. Auch das für den Transhumanismus wesentliche Ideal der Unsterblichkeit sei Kernstück des Christentums. Trotz dieser Paral­lelen stehe das Christentum dem Transhumanismus eher konservativ gegenüber: Matern spekuliert, dass durch Menschenhand erlangte Unsterblichkeit als illegitime Einmischung in einen göttlichen Plan auffassbar sei, weshalb der Transhumanismus als «Pakt mit dem Teufel» erscheinen würde.

Ein Wettlauf der Technologien

Weiter geht es mit einem Podium mit Simone Schürle-Finke, die an der ETH Zürich federführend zu Biotechnologie forscht, sowie Armin Curt, führender Wissenschafter auf dem Gebiet der Paraplegie und Chefarzt an der Universitätsklinik Balgrist. Schon bald taucht die Frage auf, ob Biotechnologie lediglich dazu eingesetzt werden dürfe, kranke Menschen zu heilen, oder ob auch die Optimierung gesunder Menschen ethisch vertretbar sei. Schürle-Finke führt an, dass keine klare Grenze zwischen Kurieren und Optimieren gezogen werden könne, denn schliesslich könne auch die Befähigung zu einem möglichst gesunden Altern als Optimierung aufgefasst werden – solchen Formen der Optimierung steht die Professorin offen gegenüber. Den Einsatz leistungssteigernder Technologien bewertet sie jedoch kritisch: «Das ist ein Riesenthema: Was soll erlaubt sein, was nicht – es ist auch ein Wettlauf der Technologien.» Bei den moralischen Fragen, die die neuen biotechnologischen Entwicklungen aufwerfen, solle vor allem die Maxime der Leidensminimierung ethisch wegweisend sein.

Sloterdijk: Blick in Vergangenheit

Kurz vor dem Vortrag des aus Berlin angereisten Starphilosophen, Peter Sloterdijk, stellen sich in der Kirche regelrecht Getümmel und Platzmangel ein: Mit Sloterdijk wird die Tagung mit einer der wohl einflussreichsten Stimmen der zeitgenössischen Philosophie abgerundet. Der Denker, der an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe viele Jahre Philosophie und Ästhetik gelehrt hat, hat 2009 ein zum Tagesthema passendes Essay unter dem Titel «Du musst dein Leben ändern» publiziert. 

Kontrastreich in Blazer und Trainerhose gekleidet, klärt der Philosoph gleich zu Beginn, dass ihm keine Reflektion über die Unsterblichkeitsbestreben von Milliardären vorschwebe. «Ich gehöre zu den Altmenschen, die sich dadurch definieren, dass sie nicht erkennen, worin der Reiz eines um 80 Jahre verlängerten Greisenalters besteht», positioniert sich Sloterdijk. Somit setzt der Philosoph zu einer Analyse des Transhumanen in einem vergleichsweise weltlichen Ton an. Im Gegensatz zu den vorherigen Referierenden sieht Sloterdijk das den Übergang in das Transhumane nicht erst in zukünftigen Durchbrüchen der Technik, sondern verortet diesen stattdessen in der fernen Vergangenheit der Menschheitsgeschichte indem er durchscheinen lässt, dass sich dieser schon mit der Sprachentwicklung des Menschen vollzogen hätte. 

Der gängigen Auffassung des Transhumanismus gegenüber positioniert sich Sloterdijk kritisch. Auch die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Technik bleibt für ihn so brennend wie eh und je.