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Gewollter Klimawandel im Kleinen

Erstellt von Tobias Hoffmann |
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In der neuen Forschungsstation des Zoos Zürich werden höchst aufwendig die natürlichen Lebensbedingungen bedrohter Tierarten simuliert, um ihre Lebensweise genau zu verstehen. Das Publikum kann anhand von sechs Forschungsräumen an dieser Forschungsarbeit teilhaben. 

Tobias Hoffmann

Eine unvorstellbar kleine Menge kann bereits tödlich sein: Das Sekret einiger Arten der kleinen, aber sehr farbigen Baumsteigerfrösche enthält Batrachotoxin, das in kurzer Zeit zu vollständiger Atemlähmung führen kann. Manchmal wird deshalb gleich die ganze Familie Pfeilgift­frösche genannt, was irreführend ist. Nur drei Arten geben das tödliche Gift her, das einige indigene Völker des Amazonas zur Jagd verwenden. 

Bilder der mit Blasrohr jagenden Indigenen sind ein fester Bestandteil von Wissenszeitschriften für die Jugend. Heute sind allerdings sowohl die Urwaldvölker wie auch die giftigen Frösche bedroht. Die fortschreitende Abholzung des Regenwalds schränkt ihren Lebensraum ­immer weiter ein. Hier liegt der Grund, wieso Pfeilgiftfrösche auch in Zürich zu finden sind: im Zoo, wo in der Mitte Dezember eröffneten Forschungsstation ihr Verhalten untersucht wird, um sie zielgerichtet züchten zu können. Ziel ist ein ­Artenschutz, der von wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen ausgeht.

Eine 30 Meter lange Klimaanlage

Sechs Forschungsräume hat der Zoo eingerichtet. Einer davon ist dem Goldenen Pfeilgiftfrosch gewidmet, der sich durch ein ungewöhnliches Brutverhalten auszeichnet. Die elterliche Fürsorge ist bei ihm stark ausgeprägt, und überraschenderweise liegt die Hauptarbeit beim Männchen. Zuerst wartet es geduldig ab, bis die Kaulquappen aus den Eiern schlüpfen. Dann bringt es diese an einen geeigneten Ort zur Weiterentwicklung: eine ausreichend grosse Pfütze, die nicht Gefahr läuft, auszutrocknen, damit der Nachwuchs die Verwandlung von der Kaulquappe zum Frosch ungestört durchlaufen kann. Nun stellt sich das Forschungsteam die Frage, ob das Weibchen für das Männchen einspringt, wenn dieses fehlt. Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Belege, dass dies tatsächlich der Fall ist. Im Forschungsraum 2 soll genau diese Frage von der Verhaltensbiologin Eva Ringler von der Universität Bern in Zusammenarbeit mit den Zoo-Mitarbeitenden geklärt werden. 

Für diese Forschung ist ein grosser technischer Aufwand nötig. Dank eines grossen Aufgebots von Klimageräten werden die klimatologischen Unterschiede im Jahresverlauf des Frosches genauestens simuliert. So wird sichergestellt, dass alle Veränderungen, die die Reaktion des Weibchens beeinflussen könnten, den ­Bedingungen in der Natur entsprechen. Wenn dann im Zuge der Experimente das Pfeilgiftfrosch-Männchen dem Habitat entnommen wird, können die Forschenden davon ausgehen, dass das gezeigte Verhalten des Weibchens einzig und allein eine Folge dieser Aktion ist. 

Nicht nur der Goldene Pfeilgiftfrosch wird erforscht und gezüchtet, sondern auch der Tafelberg-Baumsteiger aus Venezuela (Forschungsraum 3). Dessen Lebensraum ist extrem geschrumpft. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist durch starke klimatische Wechsel geprägt: einen Temperatursturz von 5 bis 10 Grad Celsius während der Nacht und eine deutliche Schwankung der Luftfeuchtigkeit. Wenn die Bedingungen nicht stimmen, kommt der Tafelberg-Baumsteiger nicht in Laichstimmung, und der Zuchterfolg bleibt aus. Die idealen Bedingungen sind allerdings noch nicht wissenschaftlich erprobt, was der Zoo Zürich ändern will. 

Es bestehen viele Wissenslücken

Mit der neuen Forschungsstation vereint der Zoo Zürich erstmals die vier Hauptaufgaben eines modernen Zoos – Artenschutz, Naturschutz, Forschung und Bildung – an einem Ort. Neben den Fröschen werden zurzeit auch Ameisen, Fische und Wirbellose erforscht. Wie der Zoo erläutert, gibt es bei diesen Tierarten noch sehr viele Wissenslücken. Später werden weitere Arten dazukommen, und mit ihnen werden sich auch die Fragestellungen ändern. 

Die Forschungsstation ist so konzipiert, dass die Zoobesucherinnen und -besucher Einblick in einen Teil der wissenschaftlichen Arbeit bekommen – ein entscheidender Schritt, um die Komplexität des Artenschutzes für ein breiteres Publikum nachvollziehbar zu machen. Die Forschungsstation befindet sich oberhalb des Aquariums, neben dem Terrarium. Sie ist während der gesamten Öffnungszeiten des Zoos zugänglich.

Weitere Informationen: www.zoo.ch/de/zoobesuch/lebensraeume/forschungsstation