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Heiligabend, Ausgabe 2020

Erstellt von Peter Meier |
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«Sie kommen!», ruft die Dame des Hauses. Ihr Mann eilt zur Tür und rückt seinen Mund-Nasen-Schutz zurecht. «Kommt schnell rein», er schaut verstohlen um die Ecke, «die Nachbarn müssen ja nicht unbedingt sehen, dass wir die 2-Familien-Regel verletzen.»

«Gemütlich habt ihr’s», loben die Gäste, während sie kritisch die Anordnung der Gedecke auf dem Esstisch begutachten.

Nicht ohne Stolz erläutert der Gast­geber sein Sicherheitskonzept. «Die ­Familien sitzen zusammen, das Social Distancing ist aber gewahrt. Auf Spuckschutz und Abzugshauben haben wir aber verzichtet», scherzt er. Dass er ­Humor hat, beweist auch seine Tisch­dekoration: rundum mit Gewürznelken bespickte Mandarinli. «Das sieht aber echt aus!», freut sich ein Kind. An jedem Platz steht ein Desinfektionsmittel – gegen Schmierinfektionen. «Und so viele Geschenke unter dem Baum!», freuen sich die Gäste. «Ja, das Christkind ist und bleibt eben systemrelevant», meint der Hausherr.

Nach dem ersten Stosslüften setzen sich die Gäste in Gruppen an den Esstisch; der betagte Onkel, der gleich mehreren Risikogruppen angehört, sitzt etwas verloren auf dem Sofa am separaten Clubtischchen. Die Gespräche drehen sich um die zweite Welle, den drohenden Lockdown, überstandene Quarantänen und Homeoffice – und um die Covidioten, die an allem schuld seien.

Das Fondue ­Chinoise wird in Anbetracht der Sitzabstände zur sportlichen Herausforderung, lange Arme und Gelenkigkeit sind ge­fordert. Die Tante kaut seit Minuten am völlig verkochten Stück Fleisch. «Hitze ­tötet alles ab», murmelt sie wissend-entschuldigend. Der Onkel auf dem Sofa tröstet sich inzwischen mit der zweiten Flasche Wein und prostet der fernen Gesellschaft lallend zu: «Das desinfiziert immer noch am besten!»

Nach dem Essen und dem dritten Stosslüften kommt traditionsgemäss der Baum in Aktion. Auf das Singen wird verzichtet – wegen der Aerosole. Die Renner unter den Geschenken sind die modischen Stoff-Hygienemasken und das Desinfektionsmittel mit Moschusduft. Man bedankt sich höflich kontaktlos. Und zum Höhepunkt wird per Videokonferenz die Oma aus dem Altersheim zugeschaltet. Sie wirkt etwas überfordert; ein Zivi mit Schutzmaske steht ihr technisch bei.

Nach dem fünften Stosslüften brechen die Gäste auf. «Was für ein gemütlicher Abend!», sagen sie beim Gehen. «Und meine Covid-App hat kein einziges Mal angeschlagen!», fügt jemand galgen­humorig bei …

*

Man stelle sich nun vor, diese kleine Geschichte wäre an Weihnachten vor einem Jahr erzählt worden. Man wäre wohl für krank erklärt worden – heute sind wir froh, es nicht zu sein. Trotz allem: Schöne Festtage!