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Der Herr der Ringe

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Der Küsnachter Jung-Unternehmer Andy Hersperger, 31, führt das traditionsreiche Spengler-Unternehmen bereits in der fünften Generation. Dabei spielen zwei Ringe eine Rolle – und drei Tage: Weihnachten 2019, der 30. Geburtstag im letzten und der 2. Juli im nächsten Jahr. Dann will Andy seine Jenny heiraten.

Er streckt die Hand aus, sie legt ihre Linke auf seine Rechte, und beide strahlen einander an. Zunächst suchen ihre Blicke die Augen des Gegenübers, dann senken sie sich auf die Hände. Da sieht sie das goldene Siegel an seinem rechten, er das silberne Gelöbnis an ihrem linken Ringfinger. Sie lächeln wie zwei Kinder, die ein grosses Geheimnis hüten – das Mysterium von dem, was war. Und von dem, was noch kommen wird. Dazwischen liegt die Gegenwart des Küsnachter Spenglermeisters Andy Hersperger, der seit bald vier Jahren den Familienbetrieb führt – und insgeheim hofft, dass er und seine Verlobte Jenny das Unternehmen dereinst in die Hände einer nächsten Hersperger-Dynastie legen können, «wobei mir der Begriff Dynastie nicht so gut gefällt», wendet er ein. Das töne ihm zu sehr nach Hochadel oder Zirkus, wo die Nachkommen gar keine Wahl haben. «Ich mache es lieber wie mein Vater. Der hat mich nie unter Druck gesetzt und mir stets alle Freiheiten gegeben – mich aber immer wissen lassen, dass die Möglichkeit besteht, den Laden zu übernehmen.»

Sein Ururgrossvater habe 1896 den Spengler-Betrieb gegründet, erzählt der Jung-Unternehmer, und der Vater habe ihn in der vierten Generation weitergeführt, ja, sogar die Mutter sei eine Spenglerin, auch schon in der dritten Generation. «Ich lag noch in den Windeln», schmunzelt er, «als ich mitbekam, wie sich die Gespräche immer wieder um undichte Dachrinnen und gefalzte Bleche drehten. Da war das Interesse geweckt: Ich habe die Lehre mit einem Informationsvorteil angetreten.» Weihnachten 2019 im Ferienhaus auf der Sonnenalp ob Näfels. Nach dem Festmahl sitzen die Eltern Martin und Sonja mit Andy und dessen zwei Jahre älteren Schwester Nina vor der geschmückten Rottanne und packen Geschenke aus. wird das Leben des Sohnes auf einen Schlag verändern. Der Vater holt das kleinste unscheinbarste Päckli vom Baum und überreicht es feierlich seinem Sohn. «Das habe ich einst von meinem Vater bekommen», sagt er. «Jetzt gehört es dir.»

Neue Generation an der Reihe

Andy, der «zwar schon etwas geahnt, aber damit dann doch nicht gerechnet» hat, packt einen goldenen Siegelring aus, darauf eingeprägt das alte Spengler-Wappen: Zirkel, Blechzange, Lötkolben und Blechschere, dekorativ verschlungen, die wichtigsten Werkzeuge der metallbearbeitenden Zunft. «Du hast das Talent und die Fähigkeit, du hast mein Vertrauen und jetzt auch die Firma!», sagt Martin Hersperger, während sein Sohn die Tränen kaum zurückhalten kann, und drückt ihm gleich auch noch das Geschäfts-Handy und die Agenda mit den anstehenden Terminen in die Hand. «Mach was draus – deine Mutter und ich fahren jetzt nämlich in die Ferien!» Von einem Tag auf den anderen trägt der 29jährige Sohn die Verantwortung für sieben Mitarbeiter – darunter auch seine Mutter, die die Buchhaltung führt. Dabei gehe es ihm weniger um die Profit-Maximierung, betont Andy, vielmehr wolle er den Betrieb im Sinne des Vaters weiterführen, «der sich nicht dem wirtschaftlichen Wachstum verpflichtet fühlte, sondern dem Wohl der Mitarbeiter. Die Zufriedenheit der Kunden im lokalen Raum liegt mir am Herzen – und vor allem der gute Ruf unseres Namens. Ich will jedem, dem ich im Dorf begegne, mit einem guten Gewissen in die Augen sehen kann.»

Hersperger, dessen Arbeitstag früh um fünf beginnt – «Das ist die produktivste Zeit; da kann ich Rechnungen und Offerten schreiben, bevor das Telefon läutet!» – schätzt «die Vielseitigkeit» an diesem Beruf: «Das reicht von den Herausforderungen der modernen Architektur bis zur Pflege historischer Bauten.» Wenige Tage nach der Stabsübergabe fährt Andy mit Jenny in den Winter-Urlaub: In Ischgl, dem legendären Touristen-Mekka in den Tiroler Alpen, kennt er sich aus; hier will er seine Freundin nicht nur fürs Skifahren begeistern, sondern auch «für die Après-Ski-Gemütlichkeit!» Er war noch nie ein Kind von Traurigkeit und lässt es im «Kuhstall» kräftig krachen, der angesagtesten Bar am Ort.

Vom Virus verschont geblieben

Erst nach der Rückkehr in die Heimat erfährt das Paar, dass das Tiroler Ferienparadies unterdessen höllisch berüchtigt geworden ist. Innert weniger Wochen ist die tödliche Seuche aus dem Fernen Osten zur Pandemie angewachsen und hat Ischgl zum «Superspreader-Hotspot» gemacht. «Wir haben uns sofort testen lassen und alle möglichen Symptome gecheckt», erinnert sich Andy an die bangen Wochen der ersten Corona-Welle. «Aber wir haben Glück gehabt: Das Virus hat uns verschont.» Das gilt auch fürs Geschäft: Während immer mehr Arbeitnehmende Häuser und Wohnungen zu Büros umfunktionieren und den Computer in den eigenen vier Wänden installieren, sehen sie auch, wo es zuhause überall tropft und rinnt – und rufen den Spengler, für den das Homeoffice ein Fremdwort ist.

Auf sein geliebtes Oktoberfest hat Andy Hersperger allerdings verzichten müssen: Corona hat die Wiesn in München ebenso stillgelegt wie die Ustermer Kopie des Bier-Festivals, wo Andy Hersperger gerne das Glas mit einem Prosit auf die Gemütlichkeit erhebt. Stattdessen hat er kurzerhand die Spenglerei zum Festplatz gemacht. Und den eigenen Mitarbeitenden Bier und Spanferkel spendiert.Das grösste Fest hat er am 11. Juli 2020 steigen lassen, als die Pandemie-Massnahmen vorübergehend soweit gelockert wurden, dass man wieder feiern konnte: 150 Freunde stossen auf ihren Gastgeber an, der tags zuvor dreissig Jahre alt geworden ist. Dabei geht es nicht nur um den runden Jahrestag.

Es geht um Jenny. Die beiden sind seit nunmehr drei Jahren ein Paar. Im Sommer 2017 haben sie einander gefunden – dank dem digitalen Zufall und der gütigen Unterstützung durch die Tinder-App. Sie matchten und dateten einander, flirteten in einer hippen Bar an der Zürcher Bahnhofstrasse – und dann war erst mal Sendepause. «Er war zwar mega sympathisch», erinnert sich die fünf Jahre jüngere Jenny an jene erste Begegnung. «Aber vom Outfit her – naja. Und dann hatte er diesen langen Bart, wie ein Samichlaus!»«Ich war vom ersten Moment an total verliebt», sagt Andy. «Aber als die Chat-Botschaften immer seltener wurden, gab ich die Hoffnung auf.» Wochen später schlägt der Zufall zu: Andy und Jenny begegnen einander an der Küsnachter Chilbi. Er hat den Bart auf ein modisches Minimum getrimmt – und sie ist nun auch «hin und weg». «Das war unsere zweite Chance», sind sich beide einig. «Und die haben wir gepackt!»

Hilfloses Gestammel

Den 30. Geburtstag am 10. Juli 2020 feiert Andy im engeren Familienkreis. Für den Spenglermeister ist die Zeit gekommen, Nägel mit Köpfen zu machen. Drei Wochen lang hat er am Design des Geschenks gewerkelt, das er Jenny zu seinem Geburtstag überreichen will. Auch an den Worten, mit denen er ihr sein Geschenk überreichen will, hat er lange gefeilt. Doch als er dann vor Jenny auf die Knie geht, kommt vor lauter Nervosität nur noch hilfloses Gestammel über seine Lippen. Jenny hört irgendwas von Liebe und Leben und Zukunft für immer und ewig, sie denkt, das sei wieder einer seiner Scherze, lacht etwas verlegen und sagt «Nein!» Doch dann sieht sie den Ring und das silberne Herz mit dem kleinen Diamanten – und merkt endlich, dass dies ein ernsthafter Verlobungsantrag ist. «Ja», sagt sie jetzt. «Ja – sehr gerne!» Und schon steckt der Ring am Finger.

Das nächste Fest soll am 2. Juli 2022 steigen – das Hochzeitsfest. Auf «zwei Kinder» freue sie sich, sagt Jenny, «höchstens drei!» Andy steht neben ihr, hält grinsend die Hand mit ausgestreckten Fingern in die Höhe. «Fünf», sagt er. «Mindestens!» Und Jenny lacht: «Du spinnst doch!» Wie auch immer: Im Spengler-Betrieb Hersperger ist die sechste Generation ernsthaft in Planung.