Der pensionierte Küsnachter Livio Ghisleni repariert in seinem Repaircafé alles Mögliche, das mit Elektronik zu tun hat: ein zweites Leben, nicht nur für die Gerätschaften.
Nie war es einfacher, einen Gegenstand zu ersetzen, als heute. In Zeiten von Amazon, Digitec und Co. wirft man sein kaputtes Gerät weg und kriegt im Netz im Handumdrehen ein neues. Selbst Gegenstände mit nostalgischem Wert sind vor dem Mülleimer nicht sicher. Wenn das Motörchen im Plattenspieler die Vinylplatte nicht mehr zum Drehen bringt, dann kann auch der Charme nicht helfen.
«Das muss im Greta-Zeitalter nicht sein», sagt Livio Ghisleni, Leiter von je einem Repaircafé in Küsnacht und Männedorf. Beide sind in der Stiftung für Konsumentenschutz aufgelistet. Der pensionierte Elektroingenieur hat sich auf elektronische Gerätschaften sowie PC-Hard- und -Software spezialisiert.
Am Einschaltknopf liegt es nicht
Livio Ghisleni öffnet die Tür zum alten Küsnachter Polizeiposten neben dem Gemeindehaus. Denn dort ist sein Repaircafé, wo er jeden zweiten Mittwoch zwischen 17 und 18 Uhr verschiedenste elektronische Geräte entgegennimmt. Im Gegensatz zu anderen Repaircafés repariert er nichts vor Ort, sondern geht bei sich zu Hause in seinem Atelier ans Werk oder verteilt einen Teil der Gegenstände an seine beiden Helfer.
Entsprechend aufgeräumt erscheinen die klein ausfallenden Räumlichkeiten. Gerade mal eine kleine Discolampe, einige Kabel und einen Schneebesen nimmt Ghisleni aus einem Schrank hervor, während er freudig erzählt, dass in seiner Heimwerkstatt ein besonderer antiker Gegenstand rumliegt. Es handle sich um eine antike Zuglampe, die ihm mitgegeben wurde. Dann verschwindet der ehemalige Elektroingenieur für zehn Minuten und holt die exotische Antiquität extra aus seiner Heimwerkstatt ab, um demonstrieren zu können, «welch spannender Mechanismus» dahintersteckt.
Die nötige Expertise für seine Reparaturarbeiten bringt der 71-Jährige aus seinem früheren Berufsleben mit. So schafft er es, zusammen mit seinen beiden Helfern, in der Regel innerhalb von zwei Wochen einen funktionstüchtigen Gegenstand zurück ins Repaircafé zu bringen. Dabei sei es für Ghisleni jedes Mal wieder spannend, ob an den Mittwochnachmittagen nur zwei oder sogar zwölf Kunden kommen. Oft ähneln sich die Probleme: Kontaktschäden und beschädigte Kabel seien typisch. Da er sämtliche Gegenstände zu sich nach Hause nimmt oder seinen Helfern bringen muss, dürfen diese nicht zu sperrig sein. «In mein Auto soll der Gegenstand dann schon noch passen», sagt Ghisleni.
Schwierig sei eigentlich nicht die Reparatur selbst, sondern die Feststellung des Problems. «Viele Leute verstehen ihr Gerät nicht wirklich, kommen und sagen, der Einschaltknopf sei kaputt. Aber ich kann ihnen versichern, dass es sicher nicht daran liegt», lacht der Küsnachter Pensionär. So viele Herausforderungen Ghisleni auch meistert, selbst er kommt irgendwann an seine Grenzen: «Drucker! Die sind hochspezifisch», sagt der Repaircafé- Leiter. «Wenn da nur ein kleines Teilchen verbogen oder abgenutzt ist, kann ich fast nichts mehr tun.» Seit zwei Jahren haucht er in Küsnacht Altem neues Leben ein. Es ist fast schon ein Ding der Unmöglichkeit, sich an alle Gegenstände und deren Hintergrundgeschichten zu erinnern. Der frühere Elektroingenieur blättert in seinem Ordner, wo alle jemals abgegebenen Gegenstände eingetragen sind. «Nicht nur Drucker, auch Kameras zu reparieren, ist für mich nur schwer möglich. Die Bauteile liegen so eng beieinander, und der Aufbau ist zu komplex, ich müsste mit einem 3-D-Drucker die Ersatzteile herstellen », erklärt Ghisleni und fügt an, während er weiter in seinen Ordner schmökert: «Einmal hat ein Herr bei seiner Kompaktkamera nicht nachlassen wollen. Doch er wollte unbedingt sehen, wie sie aufgebaut ist. Also habe ich mit ihm zusammen die Kamera auseinandergenommen. Wie vorausgesagt, war es nicht möglich, sie wieder zusammenzubauen, aber das war egal. Ich konnte ihm eine Freude machen.»
Ab und an weist er Kunden trotzdem ab. Wenn das Ersetzen des Geräts günstiger ausfällt als die 10 Franken Pauschale, die es in seinem Repaircafé kosten würde, nimmt er sich der Reparatur aus Fairnessgründen nicht an. In anderen Situationen gebe er den Auftrag an ein Fachgeschäft weiter: «Ich möchte mit Fachgeschäften nicht in Konkurrenz stehen. Wer zu mir kommt, weil es günstig ist, kommt aus dem falschen Grund», sagt der Repaircafé- Leiter und fügt an: «Umgekehrt haben Fachgeschäfte auch schon Kunden zu uns geschickt.»
Die Herausforderung reizt ihn
Für Livio Ghisleni hat das Führen seiner beiden Reparaturstätten noch eine weitere Bedeutung. «Nach meiner Pensionierung hat mir mein Arzt geraten, ich solle in meinem ‹zweiten Leben› immer etwas Neues tun», erzählt der 71-Jährige. «Anfangs habe ich meiner Partnerin in ihrem E-Bike-Shop geholfen. Doch irgendwie wollte ich auch noch etwas Eigenes, wo ich sagen kann: ‹Das ist meins.›» Das Führen seiner beiden Repaircafés sei für ihn genau das. Vor allem begeistere es Ghisleni jedes Mal aufs Neue, ein anderes Gerät anzusehen, herauszufinden, wo das Problem liegt, und hoffentlich am Ende mit der Reparatur einen Erfolg verbuchen zu können.
Die 10 Franken, die für die Reparatur anfallen, sind nicht gewinnbringend. «Um das geht es mir sowieso nicht», sagt Ghisleni. Hin und wieder kaufe er sich damit neues Werkzeug. Meistens gebe er das Geld aber an seine Helfer. «Schliesslich begegne ich den Kunden, und ich erhalte die Wertschätzung. So kann ich sie weitergeben.»
Künftig möchte sich Ghisleni vollumfänglich seinem Repaircafé in Küsnacht widmen. Für seines in Männedorf sucht er deshalb einen Nachfolger.