Wie Pfarrer Andrea Marco Bianca und Pfarrerin Katharina Hoby aus Küsnacht in ihrem neuen Buch Schlagzeilen mit Bibelworten verbinden. Und was 50 Zeitgenossen sich dazu einfallen lassen.
Während dieses Pandemie-Jahr langsam zu Ende geht, erscheinen auf dem Büchermarkt laufend neue Corona-Titel. Sie fokussieren auf das Virus, wollen es überwinden oder wenigstens erklären. Das jüngste dieser Bücher, herausgegeben vom Küsnachter Theologenpaar Andrea Marco Bianca und Katharina Hoby, will «Hoffnungszeichen in Krisenzeiten» setzen. Von allen Corona-Büchern ist es wahrscheinlich das interessanteste, zweifellos das originellste und ganz bestimmt das kühnste – es spannt einen Bogen von der Zeitung zur Bibel und von der Kunst der Kalligrafie zu den Menschen – und das alles fünfzig Mal auf zwei Seiten. Das Reizwort Corona allerdings sucht man vergeblich auf dem Buch-Cover.
«Es ist ja auch kein Buch über Corona», sagt Andrea Marco Bianca, der in wenigen Monaten seinen 60. Geburtstag feiert. «Es ist ein Buch über das Leben.» – «Aber ohne Corona», gibt Katharina Hoby zu bedenken, die seit bald zehn Jahren mit ihm liiert und seit Jahresfrist im Spital Hirslanden als Seelsorgerin engagiert ist, «ohne Corona wäre es auch nicht zustande gekommen.» Da muss er schmunzeln: «Und ohne dich schon gar nicht»! Sagts – und schenkt ihr ein Lächeln.
Erdrückende Schlagzeilen
«Bundesrat macht die Schweiz dicht: Notstand!» schlägt der «Blick» am 17. März Alarm. «Das Gewerbe steht unter Schock» doppelt die NZZ tags darauf nach. Und der «Tages-Anzeiger» verkündet am nächsten Morgen: «Bund schnürt riesiges Hilfspaket für Wirtschaft».
Mit dem Einzug des Frühlings vergeht kaum ein Tag ohne Corona-Alarmismus auf den Frontseiten. Pfarrer Bianca, der die Zeitungslektüre bislang als lieb gewordenes tägliches Ritual zelebriert hat, fühlt sich zunehmend «erschlagen von der geballten Wucht dieser Schlagzeilen». Er spürt, wie diese Allgegenwart einer fremdartigen Seuche etwas mit ihm macht – und er fragt sich: Was macht das mit den Menschen?
Es schürt Ängste, erkennt Bianca, der Seelsorger. Was kann ich dieser negativen Energie entgegensetzen? Bibelworte, rät Bianca, der Exegese-Experte. Die Bibel nährt Hoffnung, macht Mut. Und so keimt die Idee im Herz und wächst im Kopf heran zu einem Projekt, das so ungewöhnlich ist wie die Zeit, die es gebiert – eine Idee, die ihn nicht mehr loslässt, die beseelt und beflügelt. Eine Brücke will er schlagen, von der täglichen Schlagzeile zur Heiligen Schrift, und die ausformulierten Gedanken ausgewählter Menschen führen über den grossen Graben vom Brückenkopf auf dieser Seite zu jenem auf der anderen.
In der Nacht kommen die Ideen
Am Abend, wenn er Schlaf sucht, findet der Pfarrer keine Ruhe. Namen rotieren im Kopf, Headlines, Sprüche, Psalmen, ganze Evangelien. Bis er schliesslich aufsteht und – noch vor dem ersten doppelten Espresso im Morgengrauen – den Laptop hochfährt, um das Netz nach brauchbaren Schlagzeilen und dazu passenden Bibelworten zu durchforsten. Kaum ist der Tag angebrochen, aktualisiert er, gemeinsam mit Katharina, eine Namensliste, die lang und länger wird.
Betroffene sind darunter wie die 86-jährige Bewohnerin eines Pflegeheimes; sie kommentiert die Schlagzeile «Risikopersonen sollen wieder arbeiten müssen» und den 28. Vers im 5. Moses-Buch: «Bei Nacht und bei Tag wirst du dich fürchten müssen und deines Lebens nicht sicher fühlen.» Und sie erinnert sich an die Jahre des Kriegs, «als wir noch wussten, wer der Feind war», vermisst in der Corona-diktierten Isolation schmerzlich «meine langen Spaziergänge am Waldrand» und stellt rhetorisch die Frage: «Was ist nur aus unserem Land geworden?» Prominente sind darunter wie das humoristische Multitalent Beat Schlatter, der bei der «NZZ»-Schlagzeile über behördliche Masken-Widersprüche und einem Zitat des Propheten Ezechiel zum Thema Dornen und Skorpione zur Erkenntnis gelangt, dass freie Künstler derzeit ein dorniges Leben führen, dabei aber die Chance haben, kreativ zu werden, und erwägt zum Beispiel den Plan, in erpresserischer Absicht ein Tram verschwinden zu lassen.
Aber auch lokale Pioniere wie der Küsnachter Elektromobil-Konstrukteur Oliver Ouboter, der aus der Verknüpfung der bundesrätlichen Order «Bleiben Sie zu Hause» mit der Empfehlung des Paulus an die Galater, allen Menschen Gutes zu tun, den Schluss zieht, dass beide Forderungen weit über Corona hinaus Gültigkeit haben. Oder die Viehzüchter Nils Müller und Claudia Wanger, die mit der Weideschlachtung neue Akzente im Tierschutz gesetzt haben und ihren Hof auf der Forch regelmässig zum Gastro-Tempel umfunktionieren: Inspiriert von der «Blick»-Meldung «Beizer präsentieren Corona-Plan» und einem Zitat aus dem Buch der Prediger, das «Essen, Trinken und Gutes geniessen» empfiehlt, singen sie das Loblied auf den Sonntagsbraten.
Gerechte Gender-Parität
50 Corona-Schlagzeilen aus sechs Monaten, 50 Bibelworte aus der Tiefe der Zeit, 50 kalligrafische Kunstwerke, 50 Zeugnisse von Menschen aus der Region und aus dem ganzen Land. 25 Frauen und 25 Männer – die Gender-Parität bei der Auswahl der Protagonistinnen ist besonders der Mitstreiterin ein zentrales Anliegen: Katharina Hoby hat sich von Beginn weg für das Projekt begeistern und einspannen lassen.
Das ist matchentscheidend. Bianca, der auf keinen Fall die seelsorgerischen Pflichten in der Gemeinde vernachlässigen und seine Gottesdienste nach wie vor seriös vorbereiten will, investiert jede Minute seiner Freizeit in das Projekt; oft genug verlässt ihn der Mut, er spürt die Kräfte schwinden. In solchen Momenten erscheint Katharina ihm wie ein rettender Engel: «Die Idee ist gut, das Buch ist wichtig, die Menschen brauchen es», wurde sie nicht müde, ihn aufzumuntern: «Du kannst ... nein: Wir können das!
Du hast das Konzept erarbeitet und mit der Auswahl der Bibelstellen die theologische Vorarbeit geleistet. Jetzt darfst du mit dem Verleger verhandeln und ich mache die Knochenarbeit – ich pflege die Kontakte zu den Menschen, die unser Buch schreiben.»
Die eigentliche Knochenarbeit steht Anfang Oktober an: Statt – wie vor langer Zeit einmal geplant – ans Meer zu fahren, buchen Andrea Marco und Katharina ihre Ferien in der Schweiz – in einer Stadt allerdings, die dergestalt von einem weltoffenen mediterranen Geist beseelt ist, dass der Schriftsteller Franco Suppino ihr eine literarische Liebeserklärung gewidmet hat: «Die Stadt am Meer». «Es war tatsächlich sehr viel mehr als nur eine Reise nach Solothurn», erinnert sich Andrea Marco Bianca. «Es war eine Reise in eine andere Welt – in die weite Welt der Gefühle: Die intensive Arbeit am gemeinsamen Projekt hat für uns neue Horizonte eröffnet.» «Wir haben gelitten und gestritten», ergänzt Katharina Hoby. «Wir haben Tränen getrocknet und Lösungen gefunden, die insgesamt mehr sind als ein Kompromiss. Jetzt ist dieses Buch unser Baby – ein Kind, geboren aus Glaube, Hoffnung und Liebe.»