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«Ich gebe dem Tod ein freundliches Gesicht»

Erstellt von Anna-Sofia Schaller |
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Eine spielerische Annäherung an die Urfragen des Lebens: Mit dem Stück «Hotel zu den zwei Welten» bringt der Küsnachter Theaterverein «Die Kulisse» einen Klassiker über die Vergänglichkeit auf die Bühne. Regie führt Renate von Rickenbach (44). Sie ist einst hier zur Schule gegangen.

 

Am 25. März steht die Premiere von «Hotel zu den zwei Welten», einem Stück des französisch-belgischen Autors Éric-Emmanuel Schmitt, an – wie gestresst sind Sie?

Renate von Rickenbach: Gestresst in dem Sinn bin ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass wir super unterwegs sind. Wir haben ein sehr starkes Ensemble beieinander, ich kann mich sehr auf meine Schauspielerinnen und Schauspieler verlassen. Jetzt steht aber der grosse Sprung von der Probebühne auf die richtige Bühne an. Nächste Woche findet der Aufbau im Pfarreizentrum statt. Es ist schon eine gewisse Anspannung da, ob alles funktioniert. 

 

Wie ist es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Küsnachter Theaterverein «Die Kulisse» gekommen?

Das hat mit meiner persönlichen Vergangenheit als Kantonsschülerin in Küsnacht zu tun. Anno einst, ich glaube es war 1998, habe ich an der Kanti Küsnacht die Matur gemacht und war zuvor bei Renate Mugg­li im Theaterkurs. Beim Jubiläum von «Die Kulisse» (Anm. d. Red.: 2018) bin ich Renate dann wieder begegnet. Sie war langjährige Regisseurin bei «Die Kulisse» und hat mich so mit ins Boot gezogen. 

 

Theater begleitet Sie seit Ihrer Kindheit. Was fasziniert Sie so am Theater?

Es ist so vieles ... Erstens ist es eine wahnsinnig lebendige Kunstform, sie passiert im Hier und Jetzt. Es gibt nie zweimal das Gleiche. Es ist so vieles vom Moment und dem Zusammenspiel abhängig. Das Theater ist auch etwas Vergängliches, das finde ich sehr berührend. Ich mag Sachen, die nicht kleben bleiben. Auch das Erleben, die Intensität, das gemeinsame darauf Hinarbeiten – am Anfang hat man ein Stück Papier und Ideen. Der ganze Prozess ist wahnsinnig bewegend. Da ist so viel Leben drin, auf einmal wird das Theater zu etwas Existenziellem. Es wird so wichtig wie das richtige Leben.

 

Was kann Theater?

Die, die mitmachen, kommen dem Genuss des Lebens sehr nahe. Es ist ein gemeinschaftliches und persönliches Erlebnis. Wenn ich mich an meine Erfahrungen als Jugendliche erinnere, dann waren das Glücksmomente, die sehr prägend sind. Gewissermassen teilt man diese Freude auch mit dem Publikum. Und logisch hat man auch ein Anliegen, man will mit dem Stück ja etwas im Publikum bewegen. Man soll aber ja nicht mit dem Moralfinger etwas aufdrängen. Doch lädt Theater schon dazu ein, sich zu überlegen: Was wäre, wenn ich in dieser Situation wäre? Theater soll und darf auch unterhalten. Es soll einladen, sich auf ein Thema einzulassen, abzutauchen. 

 

Wie haben Sie die Produktion von «Hotel zu den zwei Welten» erlebt – was hat Sie besonders beeindruckt?

Beeindruckt haben mich vor allem der Fleiss und das Engagement der Schauspielerinnen und Schauspieler von «Die Kulisse». Ich bin mir das nicht immer gewohnt, ich arbeite ja auch mit Jugendlichen zusammen, wobei man manchmal einen anderen Fleiss erlebt. «Die Kulisse» ist ein Verein mit viel persönlichem Engagement und Herzblut. Ich bin sehr herzlich willkommen geheissen worden. 

 

«Hotel zu den zwei Welten» handelt von einem limboähnlichen Zustand, einer Zwischenwelt zwischen Leben und Tod – keine leichte Kost. Welche Gedanken und Stimmungen dürfte das Stück im Publikum auslösen?

Das Stück ist im Original ja eine Komödie. Es hat auch in unserer Inszenierung eine Leichtigkeit drin. Es sind nahbare und greifbare Figuren, die auch witzig und spannend sind. Es ist Musik und Bewegung drin. Es war mir ein Anliegen, dass es ein unterhaltsamer Abend wird. Auch der Raum soll einladend sein. Mir war wichtig, keine kalte Spitalatmosphäre zu schaffen, sondern eher etwas Altes, willkommen Heissendes, Warmes. Man soll sich eingeladen fühlen, zu verweilen. 

 

Welche Fragen wirft das Stück auf?

Was erwartet uns nach dem Sterben, wozu sind wir da? Es sind die altbekannten grossen Fragen des Lebens.

 

Liefert das Stück Antworten?

Es zeigt eher auf, wie verschieden man mit den Fragen umgehen kann und das finde ich auch gut – sonst hätte es etwas Moralisierendes, was schade wäre. 

 

Im «Hotel zu den zwei Welten» warten die Protagonistinnen und Protagonisten ab, ob sie aus dem Koma wieder ins Leben erwachen oder sterben. Sind sie völlig ohnmächtig?

Sie haben keinen Einfluss darauf, wohin es geht. Sie erleben den Raum auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Jede Figur hat eine eigene Geschichte. Das ist die Eigenart des Stücks: Es hat keine Dra­maturgie mit einem klassischem Spannungsbogen. Stattdessen ist es für den Zuschauer, als wäre man selbst in diesem Hotel zu Gast und würde dort den anderen Gästen begegnen. Das Stück ist nicht geprägt von einer Ohnmacht, es geht im Hotel recht lebendig zu und her.

 

Im Stück treffen Menschen aus verschiedenen Lebenssituationen aufeinander. Ein verbitterter Journalist, eine lebensfrohe junge Frau – sind vor dem Tod denn alle gleich, wie es das Sprichwort sagt?

Das ist eine Aussage, die dem Stück effektiv zugrunde liegt. Aber das sehen natürlich nicht alle Figuren gleich. Für die einen ist es ein Übergang, für die anderen eine Chance, Sachen zu überdenken. Andere sind dem Ganzen gegenüber relativ dumpf. Auch das liegt dem Stück zugrunde: die Vielfalt, wie man so einer Situation begegnen kann, und dass es kein Richtig oder Falsch gibt.

 

Bleiben wir bei den Sprichwörtern: «Der Tod gibt dem Leben einen Sinn.» Findet auch in «Hotel zu den zwei Welten» eine gewisse Sinnstiftung statt?

Durchaus. Aber das ist genau das, womit man verschieden umgehen kann. Da ist die Frage für die Zuschauer: Bei welcher Figur docke ich an?

 

In westlichen Kulturen ist der Tod ein ­Tabuthema. Das Stück ist eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Tod. Finden Sie es wichtig, sich mit der eigenen Sterblichkeit zu befassen?

Ja. Obschon der Tod allgegenwärtig ist, wird er immer noch tabuisiert. Da hat es mich schon gereizt, ihm im Spiel zu begegnen. Ich wollte ihm dabei ein freundliches Gesicht geben. 

 

Aber wäre man nicht glücklicher, wenn man den Tod einfach vergessen würde? 

Ich denke nein. Ich finde es wertvoll, sich der Endlichkeit bewusst zu werden. Nicht gerade so, dass man jeden Tag aufsteht und sich erinnert «Ah ja, ich bin endlich», sondern indem man merkt: Man hat dieses eine Leben, und es ist etwas Wunderbares. Dafür hilft es, der Endlichkeit zu begegnen. Ich finde, es hat durchaus etwas Lustvolles, dem Thema im Spiel zu begegnen und zu merken, dass im Umgang mit dem Tod so viel Leben drin ist.

 

Ist es «Das Hotel zu den zwei Welten» also eher ein Stück über das Leben oder über den Tod?

Für mich ist es dem Leben näher. Aber die beiden gehören sowieso zusammen. Wenn man dem Tod nahekommt, wird auch das Leben wahnsinnig kraftvoll und spürbar. 

 

Das Stück ist aber auch eine Liebesgeschichte.

Durchaus, die Liebe spielt eine wichtige Rolle. Ich will aber nicht zu viel verraten.

 

Der Autor Éric-Emmanuel Schmitt hat in Paris Philosophie studiert. Schlagen sich im Stück gewisse philosophische Strömungen nieder?

Ich glaube, das ist gar nicht anders möglich. Ich kann mir auch vorstellen, dass sein Elternhaus eine Rolle gespielt hat. Er ist in einem atheistischen Elternhaus aufgewachsen, ist aber von dem Gedanken weggekommen und stellt sich selbst ein Leben nach dem Tod vor. 

 

Hat die Arbeit am Stück auch Ihre eigene Weltsicht geprägt?

Nein, das Stück mit seinem besonderen Ort hat mich einfach sehr angesprochen. Es wirft Fragen auf, die ich selbst auch spannend finde. 

 

Als Ausblick: Werden Sie auch in Zukunft mit «Die Kulisse» zusammenarbeiten? 

«Die Kulisse» arbeitet mit verschiedenen Regisseurinnen und Regisseuren zusammen. Ich werde auch wieder Regie machen, nächstes Jahr ist aber jemand anders dran. Es ist allerdings noch nicht öffentlich, welches Stück als nächstes auf die Bühne kommt.


Die Premiere findet am 25. März um 19.30 Uhr im katholischen Pfarreizentrum Küsnacht statt. Tickets sind im Vorverkauf online über www.kulisse.ch und in der Buchhandlung Wolf (Zürichstrasse 149, Küsnacht) erhältlich, können aber auch an der Abendkasse bezogen werden. Ticketpreis: 35 Franken / ermässigt 15