Sie prägten lange Zeit das Wachstum Zürichs: Ein neues Buch beleuchtet die Geschichte der Stadt anhand der Altstadtkirchen.
Heute sind sie schon rein aus touristischer Sicht nicht mehr wegzudenken: die Altstadtkirchen. Doch schon im Hochmittelalter – Mitte 11. Jahrhunderts bis Mitte 13. Jahrhunderts – war Zürich ein Pilgerort. Seine Kirchen und Klöster prägten die Entwicklung der Limmatstadt.
Das neue Buch «Die Zürcher Altstadtkirchen. Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten» ähnelt einem Reiseführer. Im Mittelpunkt stehen die Wasserkirche, das Fraumünster, die Predigerkirche, das Grossmünster, der St. Peter, die Augustinerkirche sowie die Liebfrauenkirche. Geschrieben hat es das Vater-Sohn-Autorenduo François Baer und Yves Baer.
Gefoltert in der Kapelle
Die erste Kirche Zürichs war keine der heute berühmten Altstadtkirchen. In mittelalterlichen Chroniken wird die Kapelle St. Stephan als älteste Pfarrkirche bezeichnet. Sie stand südlich der Bahnhofstrasse in der Gegend um den Pelikanplatz. Hier sollen die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula gefoltert worden sein.
Enthauptet wurden die Stadtheiligen dann aber auf einer kleinen Insel in der Limmat. Dort bauten die Zürcherinnen und Zürcher später die Wasserkirche. Der Kult um Felix und Regula war Reformator Huldrych Zwingli ein Dorn im Auge. Er bezeichnete die Wasserkirche als «rechte Götzenkirche», weshalb sie fast am meisten Änderungen erfuhr. Beim Bildersturm 1524 entfernte man die Altäre und die Orgel. Zwingli liess Bilder, Statuen sowie Wandschmuck abhängen. «Als Folge der Umnutzungen nach der Reformation wurde die Wasserkirche mehrmals umgebaut», so die Autoren. Sie diente zeitweise als Warenlager, danach ab 1634 als erste öffentliche Bibliothek.
Karl der Grosse jagte einen Hirsch
Das Grossmünster hat ebenfalls einen starken Bezug zu Felix, Regula und ihrem Diener Exuperantius. So sollen die Stadtheiligen nach ihrer Enthauptung ihre Köpfe ergriffen haben und bis zu ihrer Grabstätte gegangen sein, wo heute die Kirche mit den zwei markanten Türmen steht.
Das Grossmünster ist das historische Wahrzeichen der Stadt Zürich. Und um die Kirche rankt eine weitere Legende: Karl der Grosse habe einen Hirsch von seiner Residenz in Aachen bis nach Zürich verfolgt. Der Hirsch führte ihn an die Grabstätte von Felix und Regula und sei in die Knie gesunken. Karl der Grosse befahl deshalb, eine Kirche zu errichten. «Zwischen 952 und 1055 residierten zwölf Mal die Kaiser in Zürich», schreiben François und Yves Baer. So sei es durchaus denkbar, dass die Gründungslegenden des Grossmünsters und der Wasserkirche einen wahren Kern hätten und Karl der Grosse in Zürich residiert habe. Das lässt sich aber nicht beweisen.
Klar ist hingegen, dass das Grossmünster Ausgangspunkt der Reformation in Zürich war. Zwingli predigte hier, er trat sein Amt am 1. Januar 1519, also vor 500 Jahren, an. Auch architektonisch hat sich die Kirche verändert. «Am 24. August 1763 brannte das Dach des Nordturms aufgrund eines Blitzeinschlages ab, die Glocken wurden mit nassen Kuhhäuten vor dem Schmelzen gerettet», schreiben die Autoren. Ein kompletter Neubau stand zur Diskussion. 1770 erhielten die Türme Balustraden und glichen damit der Notre-Dame in Paris. Zwischen 1781 und 1787 entstanden die Kuppeln.
Das Buch von François Baer und Yves Baer ist mit über 500 Abbildungen reich illustriert. Einige Fotos sind allerdings etwas klein geraten. Neben einer Einführung zur Geschichte der Stadt von der Spätantike bis heute werden die sieben Altstadtkirchen mit je einem Kapitel gewürdigt. Das Buch zeigt Ereignisse entlang der Gotteshäuser auf und stellt wichtige Persönlichkeiten vor. «Die Zürcher Altstadtkirchen. Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten» zeichnet die Baugeschichte der Kirchen nach, erzählt, welche Schätze im Verlauf der Jahrhunderte verloren gingen.
Langer Weg zur eigenen Kirche
Um 1850 war laut Statistik Stadt Zürich über neunzig Prozent der Wohnbevölkerung evangelisch-reformiert. 2017 lebten in Zürich noch rund 21 Prozent Reformierte. Konfessionslose und römisch-katholische Personen sind häufiger vertreten – dies vor allem durch Zuwanderung.
Nur etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung ist hingegen christkatholisch. Die Christkatholiken haben ihre Heimstätte in der Augustinerkirche in der Nähe der Bahnhofstrasse. Im Zuge der Reformation wurde die Kirche zur Münzstätte umfunktioniert. Erst 1840 übernahmen die Katholiken die Kirche. Der Streit um die Unfehlbarkeit des Papstes nach dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870 spaltete die Gemeinde in Christkatholiken und romtreue Katholiken. Die Romtreuen waren die Minderheit und verloren die Augustinerkirche. In der damals eigenständigen Gemeinde Aussersihl wurde deshalb die Kirche St. Peter und Paul gebaut. Unter anderem wegen ihrer schlichten Ausstattung und ihrer Lage bezeichnete man sie als Armeleutekirche. Weil die katholische Bevölkerung im 19. Jahrhundert stark wuchs, wurde der Bau weiterer Kirchen nötig. Ab 1893 entstand die Liebfrauenkirche im Stil einer christlichen Basilika. Die Anlehnung an italienische Vorbilder soll die Verbundenheit mit Rom ausdrücken. (Pascal Wiederkehr)
Yves Baer, François G. Baer – Die Zürcher Altstadtkirchen. Eine Stadtgeschichte
entlang der Sakralbauten. NZZ Libro, 2019. 256 Seiten, über 500 Abbildungen.