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Klassik im Mundart-Glück 

Erstellt von Isabella Seemann |
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Am Sonntag gibt das Duo Sybille Diethelm und Fabienne Romer ein Konzert zu Ehren und zur Erinnerung an den Heimatdichter Meinrad Lienert. Dieser verbrachte seine letzten Lebensjahre in den Grebelhäusern am Hornweg in Küsnacht.

Als Meinrad Lienert vor 89 Jahren in Küsnacht verstarb, stand er als Heimatdichter in höchsten Ehren – doch fiel sein Werk fast der Vergessenheit anheim. Wie haben Sie ihn für sich entdeckt?

Fabienne Romer: Der Grund für diese Entdeckung war sein 150. Geburtstag beziehungsweise die Aufmerksamkeit, die Lienert schon während der Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr zuteil wurde.Sybille Diethelm: Als Schwyzerin war mir der Name Meinrad Lienert schon ein Begriff. Wir hatten in der Schule auch Ausschnitte seiner Werke gelesen. Beim Studieren des Jubiläumsprogramms stellte ich fest, dass darin das Kunstlied nicht vertreten war. Und ich wusste, dass Lieder auf Lienert-Texte existierten, denn die ­Lieder von Volkmar Andreae hatte ich ­bereits früher einmal aufgeführt.Romer: Also haben wir uns auf die Suche gemacht. Wir waren unter anderem in der Zentralbibliothek, in der Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln oder in der Nationalbibliothek in Bern. Und wir haben von Walter Kälin, dem Direktor des Museums Fram in Einsiedeln, eine sehr wertvolle Liste mit Lienert-Liedern erhalten, welche sich in Privatbesitz verschiedener Familien befinden. Wir fühlten uns in dieser Zeit wie Schatzsucher. 

Was bewog Sie dazu, ein Bühnenprogramm mit Meinrad Lienerts Liedern zu gestalten und eine CD aufzunehmen? 

Romer: Wir waren überrascht, wie viel Material wir gefunden haben und wie gut es war. Wenn man einen solchen Schatz entdeckt, kommt natürlich sofort der Drang, ihn zeigen und in diesem Fall vor allem teilen zu können. Ein Geld- oder Goldschatz ist vielleicht vor allem dann interessant, wenn man ihn für sich behalten darf. Musik wird aber noch viel wertvoller, wenn man sie teilen kann.Diethelm: Wir haben über 20 verschiedene Komponisten gefunden, die Lienerts Gedichte vertont haben. Und diese Komponisten haben auch schweizerdeutsche Gedichte anderer Autoren vertont. So wurden wir erst darauf aufmerksam, dass es ein eigentliches Genre «Schweizer Mundart-Kunstlieder» gibt. Dieses ist so reizvoll, dass wir es dem Publikum zugänglich machen wollen. Schuberts und Schumanns Lieder wurden allesamt eingespielt – aber das schweizerdeutsche Kunstlied kann man sich bis jetzt nicht einfach so anhören.

Frau Romer, was ist für Sie als Pianistin das Besondere an der Interpretation von Lienerts Liedern?

Romer: Das Besondere an dieser Musik ist, dass sie Schweizer Heimatklänge mit klassischer Musik verschmelzen lässt, so, wie wir es beispielsweise von Edward Grieg mit der norwegischen Musik schon kennen. Es ist für mich immer wieder ein Traum, in diese Klangwelt einzutauchen. 

Und wie ist das bei Ihnen, Frau Diethelm, als Sopranistin?

Diethelm: Das Singen auf Schweizerdeutsch. Im Gesangsstudium lernt man die unterschiedlichsten Sprachen respektive Aussprachen – Hochdeutsch, Italienisch, Französisch, Englisch und sogar Russisch. Aber auch wenn man eine Sprache nahezu perfekt beherrscht – keine ist einem so nahe wie die Muttersprache. Auf eine Art war es auch ein Zurückkehren in meine eigene Kindheit, zu meinen Wurzeln. Ich habe als Kind viele Schweizer Kinderlieder gesungen und auch schweizerdeutschen Schlager, aber später für meinen Beruf die Muttersprache beiseitegelegt und mich mit allen möglichen anderen Sprachen befasst. Dabei hat das Singen in der eigenen Sprache eine Direktheit, die ich so nicht gekannt hatte und die mich selbst sehr erstaunt.

Gibt es irgendetwas, das typisch ist für Lienerts Gedichte? Das Heimwehgefühl vielleicht, das man den Schweizern gerne nachsagt?

Diethelm: Dieses ist natürlich vertreten und die beiden «Heiweh»-Vertonungen zählen zu meinen liebsten Liedern auf der CD. Doch es gibt auch lustige, schelmische Gedichte und Schlaflieder. Solche, die sich mit den Jahreszeiten befassen oder ein christliches Bild zur Grundlage haben, wie «Dr Gartegottes» oder «Die himmlisch Chilbi», mit einem vielleicht typisch Lienert’schen Augenzwinkern. 

Auffällig sind in Lienerts Gedichten die vielen Diminutive, für die das Schweizerdeutsche per se schon bekannt ist. So läuft man Gefahr, die Gedichte einfach herzig zu finden. Aber wenn man sich eingehender mit den Texten befasst, erkennt man deren unglaubliche Tiefgründigkeit.

Romer: Lienert hat einen ganz eigenen, zauberhaften Charme in seiner Sprache. Dieser färbte sicher auf die Komponisten ab und spiegelt sich jeweils auch in den Vertonungen wider. Ausserdem ist Lienerts Sprache äusserst fantasievoll und bilderreich, was in den Herzen der Komponisten und nun bei uns Interpreten und Zuhörern ein ganzes Feuerwerk an Empfindungen auslösen kann.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit mit Lienerts vertonten Gedichten auch etwas für sich entdeckt, was Sie zuerst nicht wahrgenommen haben?

Diethelm: Ich merkte ziemlich schnell, dass das Singen auf Schweizerdeutsch technisch gar nicht einfach ist. Die Vokale sitzen in meinem Dialekt an einem völlig anderen Ort als im Hochdeutschen – viel weiter hinten. Singe ich mit der klassischen Gesangstechnik, die ich gelernt habe, dann klingt es einfach nicht nach Einsiedler Mundart. Und so musste ich eben Kompromisse finden.

Romer: Was auch lustig war: Obwohl die Gedichte in Schweizerdeutscher Mundart geschrieben sind, gibt es Wörter, die wir heute nicht mehr verstehen. Lienert selber hat manchmal schon bewusst in die alte Sprachkiste gegriffen. Es war spannend, diesen Wörtern auf den Grund zu gehen. So haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass es ein umfassendes Einsiedler Wörterbuch gibt. Ganz allgemein ist uns bei der Übersetzung der Gedichte ins Hochdeutsche fürs Booklet der CD einmal mehr bewusst geworden, wie spezifisch die Mundart eigentlich ist. Für ­gewisse Wörter braucht es im Hochdeutschen zwei oder drei Wörter, um sie zu übersetzen. 

Wenn Sie jungen Küsnachtern schmackhaft machen wollten, weshalb man mal die Lieder von Meinrad Lienert hören sollte, was würden Sie sagen?

Romer: Dieses Projekt stärkt die eigene kulturelle Identität, das ist eine wunderbare Erfahrung. Die Art und Weise, wie hier mit unserer Mundart so berührende Kunst gemacht wird, ist für uns etwas Besonderes. Ich habe über fünf Jahre an einer Schweizer Musikhochschule studiert und im Hauptfach Klavier kein einziges Werk eines Schweizer Komponisten gespielt, vielen Mitstudenten ging es genau gleich. Der Rückschluss, dass es in der Schweiz halt nichts Nennenswertes gibt, ist aber zum Glück falsch. Für mich hat dieses Projekt einen grossen Beitrag zum eigenen kulturellen Selbstbewusstsein beigetragen. Und es sind in der letzten Zeit von Kolleginnen und Kollegen noch unzählige weitere solcher Schätze geborgen worden. Nehmt Teil an dieser Entdeckerfreude, es macht unglaublich Spass!


Am Sonntag, 24. April, um 17 Uhr, Festsaal Seehof, Hornweg 28, in Küsnacht. Sybille Diethelm, Sopran, und Fabienne Romer, Klavier, führen ihr Bühnenprogramm «Plangliedli, Lanzigliedli, Herbstliedli, Heiwehliedli» auf mit Vertonungen von Meinrad-Lienert-Gedichten. Der Eintritt ist frei, es gibt eine Kollekte.