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Küsnacht erlebt stille Kirchenaustritte

Erstellt von Tobias Stepinski |
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Kerzenlicht, Fusswaschung und Gemeinschaft: Rund um Ostern blüht das kirchliche Leben in Küsnacht auf. Gleichzeitig kehren immer mehr Menschen der Katholischen Kirche Küsnacht-Erlenbach den Rücken. Die Verantwortlichen der Pfarrei wollen dem nicht tatenlos zusehen.

«Diese Tage berühren die Menschen – und sie bringen uns als Gemeinschaft zusammen», sagt Matthias Westermann, Pfar­reibeauftragter der Katholischen Kirche Küsnacht-Erlenbach. Gemeint sind die Tage rund um Ostern, die in der Kirche besonders gestaltet sind. In der Karwoche erinnern die Gottesdienste mit liturgischen Zeichen an die letzten Tage Jesu. Am Gründonnerstag wird das letzte Abendmahl gefeiert – in Küsnacht traditionell mit der Fusswaschung, einem Zeichen der Demut und Nähe.

Doch im Alltag zeigt sich beim generellen Interesse an der Kirche ein anderes Bild. Die Zahl der Kirchenaustritte ist in den letzten Jahren gestiegen – schweizweit, aber auch in Küsnacht. 2023 war mit 145 Austritten das bisherige Rekordjahr in der Katholischen Kirche Küsnacht-Erlenbach. Grund dafür war laut dem Diakon die Veröffentlichung der Missbrauchs­studie der Katholischen Kirche Schweiz. «Binnen weniger Wochen lagen etwa 100 Austritte auf dem Schreibtisch», sagt er. 2024 waren es mit 92 wieder etwas weniger, aber noch immer deutlich mehr als früher. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 verzeichnete die Pfarrei 37 Austritte.

Warum immer mehr gehen

Früher, so erzählt der Pfarreibeauftragte, seien Austritte häufig mit persönlichen Schreiben begründet worden. «Da hat jemand den Papst kritisiert, sich über den Pfarrer geärgert – oder die Kirchensteuer war ein Thema.» Heute hingegen würden viele einfach ein Formular aus dem Internet ausfüllen – oft ohne Angabe von Gründen und mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass die Kirche nicht nach diesen fragt. «Somit wissen wir in vielen Fällen gar nicht, warum jemand austritt», sagt Matthias Westermann. Viele dieser Menschen kenne man gar nicht – wer das Gemeindeleben kenne oder im Austausch stehe, bleibe meist.

Was Menschen heute wirklich zum Austritt bewegt, hat das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag der Katholischen Kirche des Kantons Zürich untersucht. Für die im April veröffentlichte Studie wurden rund 2900 Personen aus der Deutschschweiz befragt – darunter Mitglieder, Ausgetretene und Konfessionslose. Ein Viertel der katholischen Mitglieder gab an, sich einen Austritt vorstellen zu können. Besonders häufig genannt wurden der Umgang mit Missbrauchsfällen, die ablehnende Haltung zu gesellschaftlichen Themen wie Homosexualität oder der Rolle der Frau sowie das als zu hierarchisch empfundene Kirchenmodell. Auch Frust, Enttäuschung und der Eindruck mangelnder Glaubwürdigkeit schwingen mit. Nur 15 Prozent der Befragten bewerteten die Katholische Kirche insgesamt positiv.

Matthias Westermann und die Katholische Kirche Küsnacht-Erlenbach nehmen die Kritik ernst – besonders mit Blick auf die Missbrauchsfälle: «Für uns Ver­antwortliche der Pfarrei ist völlig klar, dass die Kirche in dieser Angelegenheit schwere Schuld auf sich geladen hat. Alles muss getan werden, damit so etwas nie wieder geschieht und die Täter bestraft werden», sagt er. Gleichzeitig warnt er vor Pauschalurteilen: «Ich wende mich entschieden gegen jeden Generalverdacht gegenüber Priestern und kirchlichen Mitarbeitenden. Unsere Pfarrei war und ist ein sicherer Ort für alle.» Die Kirche sei zudem kein abgeschotteter Raum, sondern tief im lokalen Leben verankert. «Wir sind als Kirche nicht auf einer Insel und unberührt vom Leben in unserem Dorf oder der Grossstadt in der Nachbarschaft. Wir sind im Gespräch, haben viele Kontakte und erhalten auf unsere Angebote viel positive Rückmeldungen», sagt der Pfarreibeauftragte.

Kirche will niemand ausschliessen

Um dem Vertrauensverlust zu begegnen, setzt die Katholische Kirche Küsnacht-­Erlenbach auf Alltag und Nähe. «Das beste Mittel gegen Kirchenaustritte ist ein lebendiges Angebot, das viele anspricht und niemanden ausschliesst», sagt Westermann. Dazu gehören Gottesdienste, Bildungsabende, kulturelle Anlässe und Seelsorge. Vieles davon wird von Freiwilligen getragen. «Viele Menschen kommen gerne zu uns. Darunter auch neue Gesichter», so der Pfarreibeauftragte.

Auch wenn Kirche und praktiziertes Glaubensleben in den letzten Jahrzehnten spürbar an Bedeutung verloren haben, sieht Westermann Zeichen der Hoffnung: «Wir haben zum Beispiel immer wieder Jahre, in denen wir mehr Kinder taufen dürfen als Menschen beerdigen. Das ist doch ein schönes Zeichen für die Zukunft der Kirche.»

Meinungsumfragen allein würden dem Ganzen aus seiner Sicht jedoch nicht gerecht. «Kirche ist nicht nur eine soziologische Grösse, die man mit den Fragen eines Meinungsforschungsinstituts durchleuchten oder erfassen kann, sondern auch eine tiefere Sache des Glaubens», ist der Pfarreibeauftragte Westermann überzeugt. Vielleicht sei vielen nicht bewusst, was verloren ginge, wenn Kirchen nur noch Museen wären. Sein Fazit: «Kirchen und Glauben bieten ein verlässliches Fundament – eben auch für schwierige Zeiten.»