Das Wirtschafts-Musical von Nicolas Stemann «Der Streik» läuft derzeit im Zürcher Schiffbau. Der Regisseur über die Rolle der Reichen und warum Küsnacht im Stück vorkommt.
Nicolas Stemann, in «Der Streik» verweigern Leistungsträger und Unternehmer ihren Dienst. Eine ungewöhnliche Umkehr der normalerweise von unten kommenden Revolution.
Vielleicht ist «Klassenkampf von oben» keine schlechte Beschreibung, für vieles, was wir gerade erleben.
Ayn Rand, deren Buch «Atlas Shrugged» aus den 1950er-Jahren die Grundlage für Ihre Geschichte bildet, meint es allerdings ernst. Sie aber bieten den Zuschauern eine Parodie an.
Bei der Beschäftigung mit dem Buch fiel mir irgendwann auf: Wenn man «Atlas Shrugged» nicht als Thesenroman oder Dystopie begreift, sondern als satirische Überspitzung unseres gesellschaftlichen Zustands, entwickelt der Roman eine Relevanz. Wahrscheinlich gegen die Intention der Autorin – aber wer weiss ...
Tatsache ist: In Amerika gehört Rands Buch zu den meistgelesenen Stücken nach der Bibel – hauptsächlich geschätzt von liberalen bis libertären Rechts-Wählern. Für wen ist Ihr Stück gedacht?
Es ist politisches Unterhaltungstheater und richtet sich an sehr unterschiedliche Menschen. Ich hoffe sogar, dass es das Potenzial hat, sehr unwahrscheinliche Dialoge zu stiften. Die harten Ayn-Rand-Fans sind natürlich irritiert von dem Stück, aber auf teils interessante Art – wir kriegen Reaktionen, die von Verstörung bis hin zu Begeisterung reichen.
Brisanterweise verbreitete Donald Trump letzte Woche am WEF gerade diesen Wirtschafts-Optimismus und warnte vor Klimaapokalyptikern, die «Unfreiheiten » einführen wollten. Der Mann wäre eine perfekte Besetzung für Ihr Stück.
Ja, das Stück und seine Thematik sind momentan wohl aktueller denn je – gerade im Rahmen der Klima- Debatte wird das deutlich. Die Leute misstrauen zunehmend der Erzählung vom alles selbst regelnden Markt, und über staatliche Eingriffe nachzudenken, ist nicht mehr so ein Tabu wie in den letzten Jahrzehnten. Was Trump angeht, gibt es verschiedene Anspielungen in meinem Stück – so sind es ausgerechnet die Armen, die den egoistischen Stahlmagnaten Hank Rearden anhimmeln und ihn auffordern: «Werde Präsident!» – sehr zum Leidwesen der Linksliberalen, die von ihnen doch einen Aufstand von unten erwarten. Der fatalerweise ausbleibt. Stattdessen ist Trump jetzt Präsident. Das kann man sich gar nicht ausdenken, das toppt die kühnste Satire.
In Ihrem Stücks kommt die Gemeinde Küsnacht explizit vor.
Die Zeile kommt in einem Lied vor, in dem reiche Menschen die Armen bemitleiden, weil sie keine Steuern hinterziehen können: «Kein Wohnsitz in Küsnacht, kein Briefkasten in Jersey, noch nie von Cum-Ex gehört, wie langweilig.» Ich hoffe, die Küsnachter haben genug Humor, um mir zu verzeihen, dass ihre schöne Gemeinde hier mit Steuerflucht in Verbindung gebracht wird. Ich habe gehört, die Steuern seien dort besonders niedrig. Wenn nicht, tuts mir leid – allerdings wussten alle Zürcher und Schweizer um mich herum sofort, was ich meine, als ich mit dieser Zeile ankam. Dies zu meiner Verteidigung.
Trotzdem etwas gefährlich, nicht? Sie teilen damit ja indirekt gegen Ihre eigenen Theaterabonnenten aus.
Gefährlich? Wirklich? Jetzt bekomme ich tatsächlich etwas Angst ... Aber Küsnachter haben doch Humor – oder? Generell ist es doch toll, in einem Musical erwähnt zu werden. Ich habe gehört, dass nach Vorstellungen des satirischen «Book of Mormon» regelmässig Mormonen vorbeikommen, um zu missionieren. Entsprechend hoffe ich jetzt auf viele Küsnachter, die sich stolz den «Streik» anschauen. Ausserdem teilt mein Stück in alle Richtungen aus – so kommt etwa ein sehr heuchlerischer Theaterregisseur vor, der sich von den Gewinnen der Unternehmer finanziert, die er die ganze Zeit kritisiert. Das bin nicht ich. Und das «Küsnacht» in dieser einen Zeile sind nicht Sie – ausser Sie leben nur aus Steuergründen dort, dann natürlich doch. (lacht)
Die Kritiken nannten Ihr Stück «trashiges Musical», «Tarantino-Theater» – wohl auch wegen der Schiesserei am Schluss. Sehen Sie die Gefahr, dass man im «Streik» sitzt und über Sachen lacht, die man normalerweise gar nicht lustig findet?
Komödien und Satiren sind dafür da, dass man den komischen – oder lächerlichen – Aspekt an Dingen herausstellt, die eigentlich nicht komisch sind. Dinge, die eh lustig sind, eignen sich nicht für Satire. Die Frage ist, ob das verharmlosend oder zuspitzend geschieht, und ich glaube, hier handelt es sich um eine Zuspitzung.
Man könnte es auch positiv formulieren: Man versteht plötzlich Meinungen, die man normalerweise nicht verstehen will.
Meinungen, die man nicht verstehen will, verstehen – toll! Dafür wurde Theater mal erfunden – das haben die meisten nur vergessen. Es ist aber mehr als nötig heutzutage, wo sich alle faul und eifersüchtig auf ihre «Meinung» zurückziehen – und das ist dann das Ende von Dialog und Erkenntnis. Super, wenn wir diese Gewissheiten durcheinanderwirbeln.
Die Gewinner der Welt weigern sich, wie Atlas den Globus auf ihren Schultern zu tragen – eine sehr bildliche Kernszene in Ihrem Stück. Braucht unsere Gesellschaft die Reichen wirklich?
Oder wäre eine egalitäre Kommune segensreicher? Eine Gesellschaft braucht keine Reichen, sondern Reichtum. Von privatem Reichtum hat ein Gemeinwesen erst mal nichts – es sei denn, es gibt irgendeine Art von Transfer. Reich sein per se ist keine Tugend. Die Frage ist: Warum ist jemand reich? Was hat er dafür getan? Und: Was tut er mit diesem Reichtum? Und da würde ich mal etwas platt sagen: Die Welt wäre sicher besser, wenn Menschen ihren Reichtum teilen würden anstatt mit Jachten und Privatjets rumzufahren. Man darf nicht vergessen: Grosse Vermögen haben eigentlich immer mit Ausbeutung zu tun – jetzt oder in der Vergangenheit. Die Regeln, nach denen Reichtum entsteht, sind nicht fair, deshalb ist er nicht gerecht verteilt. Und nicht zuletzt deshalb ist es so, dass Reichtum verpflichtet – zum Ausgleichen dieser Ungerechtigkeit.
Am Schluss weiss der Zuschauer nicht mehr so genau, wer nun recht hat und wer nicht. Was ist Ihre beabsichtigte Botschaft?
Eine Botschaft möchte ich nicht verschicken mit diesem Abend, eher eine Aufforderung zum selber Denken. Darin übrigens ausnahmsweise mal ganz unironisch im Einklang mit Ayn Rand, deren zentrale Forderung ebenfalls lautete, man solle sich seines eigenen Verstandes bedienen.