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Mordfälle aus der Innenansicht

Erstellt von Isabella Seemann |
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Mit «Mord im Dutzend» über aufsehenerregende Tötungsdelikte präsentiert der Zürcher Gerichtsreporter Stefan Hohler ein Zeitdokument über menschliche Abgründe – auch an der Goldküste. Am 23. Januar liest er in der Buchhandlung Wolf.

Es war in den frühen Morgenstunden des 30. Dezember 2014, als Bennet S., damals 29-jährig, mit seinem Kumpel Alex (23) im Taxi durch das Schneegestöber von Zürich in die elterliche Villa in Küsnacht fuhr. Die beiden hatten nach der Partynacht einiges intus: Alkohol, Kokain und Ketamin, ein als Partydroge missbrauchtes Narkosemittel, das schon manchen den Verstand geraubt hat. Der Konsum von Drogen und in dieser Menge war freilich nicht ungewöhnlich für den Sohn des schwerreichen Küsnachter Kunsthändlers mit Galerie an der Zürcher Bahnhofstrasse. 

Der verwöhnte und wohlstandsverwahrloste Goldküsten-Playboy füllte sein Leben mit Sex, Drugs und Jetset-Partys – bis zu jener verhängnisvollen Nacht. Im Drogenrausch schlug Bennet mit einem massiven Kerzenständer den Schädel seines Freundes ein, rammte ihm eine Kerze in den Rachen, würgte ihn zu Tode – und setzte nach dem Massaker seinen toten Körper kunstvoll mit einer Nikolaus-Puppe in Szene. 

Alien mit grünem Gesicht

Später behauptete der junge Mann, er habe sich von seinem Freund, der ihm als Alien mit grünem Gesicht und langen Ohren erschien, bedroht gefühlt. Acht Jahre, eine Achterbahnfahrt an Urteilen und Berufungen, dauerte es, bis ein rechtskräftiges Urteil vorlag. Das Tötungsdelikt im Milieu der Jeunesse dorée der Goldküste sorgte sogar international für Aufsehen. In seinem neuen True-Crime-Band «Mord im Dutzend» rekon­struiert der Zürcher Gerichtsreporter Stefan Hohler diesen einzigartigen Fall in der Schweizer Kriminalgeschichte, zusammen mit elf weiteren, ebenso spektakulären Tötungsdelikten. 

Das Buch ist ein eindrückliches Zeitdokument über die bekanntesten Prozesse der letzten Jahre in und um Zürich, die landesweit für Schlagzeilen sorgten und die Leute bewegten. Vom Gewohnheitsverbrecher Jeton G. über den absurden Fall Tobias K., der einen ihm völlig unbekannten Passanten ermordete, um einen befreundeten Häftling aus dem ­Gefängnis freizupressen, bis zur Frau, die «Godzilla» erschoss: Sachlich und ­authentisch breitet der Autor ein Panorama menschlicher Tragödien in unserer Nachbarschaft aus und ermöglicht einen Blick in die Psyche von Menschen, die töten. Die schonungslos aus dem echten Leben gegriffenen Erzählungen berühren und schockieren.

Drei Fälle aus Küsnacht

Gleich drei der zwölf Fälle handeln in Küsnacht. Skrupellose Killer, durchgeknallte Crackheads, geldgierige Gatten, die über Leichen gehen – trügt die Idylle im Zürichsee-Städtchen mit seinen rund 15 000 Einwohnern, ist Küsnacht eigentlich ein abgrundtief kriminelles Pflaster? «Es ist Zufall, dass gleich einige der aufsehenerregendsten Fälle der letzten Jahre in Küsnacht stattgefunden haben und in die Sammlung einflossen», sagt Stefan Hohler. «Küsnacht hat kein erhöhtes Vorkommen an Tötungsdelikten. Aber sehr wohl eine erhöhte Medienaufmerksamkeit, denn man würde solche Fälle nicht in diesen sozioökonomischen Milieus erwarten. Zudem enthalten sie einige Komponenten, die neugierig machen: sagenhaften Reichtum, Sex und Bosheit.»

Am 23. Januar wird Stefan Hohler in der Buchhandlung Wolf in Küsnacht aus seinem Buch lesen und mit dem Publikum über diese und andere Fälle diskutieren. Seit mehr als 30 Jahren ist der Höngger für verschiedene Zeitungen in Zürich tätig, als Lokalredaktor beim «Tagblatt der Stadt Zürich», danach Polizeireporter beim «Tages-Anzeiger», nun als Gerichtsberichterstatter bei «20 Minuten». In dieser Zeit hat er mehrere hundert Prozesse verfolgt und den Lesern das Geschehen aus dem Gerichtssaal nähergebracht. Die Säle sind hoch und jahrhundertwendeprächtig oder sachlich modern, aber bespielt wird die Bühne immer von Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und den Angeklagten – und dies nach festgelegten Regeln. Auch der Gerichtsreporter spielt darin eine wichtige Rolle. «Er verhindert, dass es eine ­Geheimjustiz wie in totalitären Staaten gibt», erklärt Stefan Hohler. 

Bei der Berichterstattung sei es ihm ein Anliegen, nicht zu werten, sondern zu schreiben, worüber im Gerichtssaal geredet wird. «Ich versuche, möglichst neutral zu berichten und meine Sympathie oder Antipathie zu Opfer und Täter nicht in den Text einfliessen zu lassen.» Der Blick hinter die menschlichen Abgründe fasziniere ihn immer wieder, sagt der 69-jährige Journalist. Beispielsweise beim «Höhlenmord»-Fall am Bruggerberg im Kanton Aargau, bei dem der junge Täter Pascal seinen besten Freund Dejan aus Neid und Eifersucht lebendig begrub: Er lockte ihn in die Sandsteinhöhle und rollte einen Felsen davor, dann entfachte er seelenruhig ein Feuerchen, brätelte den mitgebrachten Cervelat, liess ihn sich schmecken und ging davon. Dejans Schreie verhallten ungehört – er erfror.

Vor einem Jahr trat ein junger Mann mit Bubigesicht, Brille und langen Haaren vor die Anklagebank. «Die Diskrepanz zwischen dem Auftritt des Mannes am Prozess und der brutalen Tat war unglaublich und geradezu surreal», erzählt Stefan Hohler. Seine Erfahrungen in den Gerichtssälen schärften über die Jahre seinen Blick auf die Gesellschaft. «Ich habe sicher eine strengere Law-and-­Order-Auffassung bekommen und stelle den Opferschutz und den Schutz der Gesellschaft in den Vordergrund.» Von «Kuscheljustiz» will er nicht reden, «aber dass die Urteile oft im unteren oder mittleren Drittel des möglichen Strafmasses liegen, befremdet mich bei Kapitalverbrechen häufig. Hier wird meiner Ansicht nach zu wenig an die Angehörigen der Opfer gedacht». 

Den Hinterbliebenen, so auch der Mutter des vom Küsnachter Kunsthändlersohn erschlagenen Alex, reisst ein Mord buchstäblich den Boden unter den Füssen weg.

 

Hohler liest in Küsnacht

Stefan Hohler liest am Dienstag, 23. Januar, ab 19 Uhr in der Buchhandlung Wolf aus seinem Buch «Mord im Dutzend – Die spannendsten Prozesse der letzten Jahre in und um Zürich». Eintritt: 10 Franken. Um Anmeldung wird gebeten unter E-Mail mail@wolf.ch oder Telefonnummer 044 910 41 38.