Wenn die Basler Sängerin Nubya an diesem Sonntag in der reformierten Kirche Küsnacht ihre kräftige Stimme ertönen lässt, schliesst sich nach 25 Jahren ein Kreis. Für Nubya ist es eine Heimkehr, für Pfarrer Andrea Marco Bianca ein Abschied.
Auf der Autobahn. Irgendwo zwischen Genfersee und Rheinknie. Mitternacht ist längst vorbei: Nubya fährt, von Glücksgefühlen beflügelt, nach Hause. Noch vor wenigen Stunden ist sie in Lausanne von einem zweieinhalbtausendköpfigen Publikum gefeiert worden. Noch immer hallt der frenetische Applaus nach – und auch der Sound des letzten Songs will ihr nicht aus den Ohren: «From the Bottom of My Heart – I Love You ...»
Und sie denkt an den Mann, den sie aus tiefstem Herzen liebt. Johannes wartet zu Hause in Basel.
Basel: Geburtsstadt, Wohnort, Heimat – eine von vielen Heimaten. Hei... Genau: Schon nimmt eine Idee Gestalt an: «Hei cho», denkt die Sängerin, «i chumme hei!» Noch ahnt sie nicht, dass in diesem Moment die Stunde eines neuen Songs geschlagen hat: «Coming Home».
Am nächsten Morgen wird sie Alan Glass anrufen, ihren britischen Songwriter und Manager: «Ich habe da eine Idee ...» So ist aus einer spontanen Eingebung der Titelsong ihres aktuellen Albums geworden.
Auf Tour mit dem Zirkus
In jenem Sommer vor fünf Jahren liess sich die ungekrönte Queen der Schweizer Jazz-, Soul- und Popszene auf ein neues Abenteuer ein: Zum 100‑Jahr-Jubiläum des Circus Knie machte sie die Manege zur Showbühne. «Auf der Tournee hat mich die Logistik dieses traditionsreichen Familienunternehmen mit ihrer unglaublichen Präzision und Effizienz beeindruckt.»
Heute, mit 50 Jahren, blickt Nubya auf ein halbes Jahrhundert zurück, das schillernder und kontrastreicher kaum hätte sein können: Während ihre ethnischen Wurzeln zur Hälfte auf eine der ärmsten Nationen der Welt, liegen Nubyas soziale Herkunft und ihr Lebensmittelpunkt in einem der reichsten Länder.
«So ist die Welt!», sagt sie, hält kurz inne – und präzisiert: «Die Welt ist nicht so einfach.»
Wie meint sie das?
«Nigeria könnte unermesslich reich sein, wenn die Erträge aus den Bodenschätzen nicht in der Korruption versickerten. Und in der Schweiz – da chrampfen sich viele Menschen halb zu Tode und kommen doch auf keinen grünen Zweig.»
1974 kommt die Tochter einer Schweizer Krankenschwester und eines nigerianischen Wissenschaftlers in Basel zur Welt. Zunächst emigriert die Familie nach Lagos, wo der Vater die Vertretung eines Basler Chemiekonzerns leitet. Nach zwei Jahren in der westafrikanischen Metropole kehren Mutter und Tochter zurück in die Schweiz. Der Vater gründet in Nigeria eine zweite Familie, während in Basel die alleinerziehende Mutter im Spital arbeitet, um das Kind und sich selbst durchzubringen. «Am Ende des Monats», erinnert sich Nubya, «blieb dann nichts mehr übrig.»
Mit gezielter Konsequenz baut Nubya ihre musikalische Laufbahn auf und reift zur gefeierten Künstlerin: Als Siebenjährige nimmt sie erste Klavierstunden, die sie zehn Jahre später mit Gesangsunterricht ergänzt – und 1994, nach der Matura, fliegt die 20‑Jährige nach New York, um an der renommierten New School for Social Research in die schillernde Welt grooviger Jazz-Sessions einzutauchen. Im musikalisch angesagten Stadtteil Harlem singt sie im Gospel-Chor «Anthony Evans and Reprise». Sie kommt im «Big Apple», wie der New Yorker seine Stadt liebevoll nennt, sozusagen zum zweiten Mal auf die Welt – als Nubya. «Ich wollte mir einen simplen, eingängigen Künstlernamen zulegen», erinnert sie sich. Menschen mit afrikanischen Wurzeln werden hier durchweg als «Nubians» bezeichnet; das sei ihr aufgefallen – «und das hat mir auch ganz gut gefallen!»
So stand bald schon fest, «dass ich fortan in der Öffentlichkeit nur noch Nubya sein möchte.» Seither ist ihr Taufname ein gut gehütetes Geheimnis. (Nebenbei bemerkt: Zwischen dem ägyptisch-sudanesische Nomadenvolk der Nubier und Nubyas nigerianischer Herkunft besteht keinerlei Verbindung.) Sie empfiehlt die Bibliothek des Basler Szenelokals «Nomad» als Treffpunkt für das Gespräch mit dem «Küsnachter» – und auch das sei nichts weiter als ein «hübscher kleiner Zufall».
Auch international gefeiert
Mit der einfühlsamen Poesie, die ihre Texte prägt, und dem mitreissenden Sound, der diese Worte trägt, wird Nubya bald schon zu einer unverwechselbaren Grösse im Musikgeschäft – auf nationaler Ebene ebenso wie rund um den Globus. 1999, nachdem sie im Vorprogramm von Whitney Houstons Monster-Konzert vor 12 000 Fans im Zürcher Hallenstadion aufgetreten ist, wird ihr in der Folge ein erster Plattenvertrag angeboten. Bald schon tourt Nubya mit ihrer eigenen Band durchs Land und legt mit «My Wish» ihr erstes Album vor.
Seit 2011 reist sie als Botschafterin des Schweizerischen Rotes Kreuzes in Entwicklungsländer und Krisengebiete, in Haiti und im Libanon besucht sie erdbebengeschädigte, geflüchtete und kriegstraumatisierte Familien.
Nubya ist eine Pendlerin zwischen Welten, die alle nicht so einfach sind: Nigeria – Heimat des mittlerweile verstorbenen Vaters. Häufig sucht sie das Land an der westafrikanischen Atlantikküste auf und pflegt den Kontakt zu ihren Halbgeschwistern. Basel – Heimat der Mutter, die sie regelmässig sieht, und Mittelpunkt des eigenen Lebens, wo sie ihr soziales Netz aufgespannt hat. Und dann ist da noch eine dritte, die glitzernde Welt der Musik – ihre eigene Seelenheimat.
«So unterschiedlich sie sind», sagt Nubya, «eines haben diese Welten gemeinsam: Sie sind mir Heimat, ich fühle mich überall zu Hause – und ich bin froh, dass mein Leben sich in eine Richtung entwickelt hat, die mir so viele Möglichkeiten eröffnet. Das Leben ist der Kosmos, in dem meine Welten einander umkreisen und Einfluss nehmen aufeinander. Und das ist einfach nur Glück pur!»
Auftritt vor 25 Jahren
Vielleicht wird jetzt auch Küsnacht zu einer kleinen neuen Nubya-Welt, die einen grossen Kreis schliesst: Vor 25 Jahren lud Pfarrer Andrea Marco Bianca die aufstrebende Sängerin in die reformierte Kirche ein, um im Rahmen der Benefiz-Event-Reihe «Church-Air» zeitlose Werte wie Mut, Vertrauen und Hoffnung mit aktueller Musik zu beleben. Am kommenden Sonntag kehrt Nubya zurück in das Dorf, wo sie einst Tina Turner kennenlernen durfte – und zurück in die Kirche, wo Pfarrer Bianca sie mit Freude und Wehmut empfangen wird: «Tief empfundene Freude, weil mit Nubya einer der grossen Stars zurückkehrt. Wehmut, weil für mich mit der Pensionierung in einem Jahr eine Tradition in andere Hände übergeht – die Verbindung von Popmusik und Kirche.»
Mit viel Freude und null Wehmut sieht Nubya dem Sonntag entgegen: «Es ist ganz einfach», lacht sie. «25 Jahre nach meinem ersten Auftritt in dieser Kirche komme ich heim: I’m coming home – heim nach Küsnacht!»
Sonntag, 10. November, 18 bis 19.30 Uhr: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Pop+more» singt Nubya in der reformierten Kirche Küsnacht. Pfarrer Andrea Marco Bianca hält die Predigt.