Eine Religionswissenschaftlerin, eine Psychologin und der Schriftsteller Adolf Muschg stellten im C.-G.-Jung-Institut Küsnacht Überlegungen zur Bedeutung und Tragfähigkeit von Symbolen an. Mit verschiedenem Erkenntnisgehalt.
«Symbole sind sichtbare Zeichen einer unsichtbaren ideellen Wirklichkeit», zitierte die Organisatorin Regula Stieger-Gmür die Präsidentin des C.-G.-Jung-Instituts, Verena Kast, gleich zu Beginn des Workshops im Küsnachter Seehof. Und tatsächlich stehe der griechische Begriff «symbolon» (etwa: Erkennungszeichen) in seinem Ursprung für etwas «Zusammengesetztes». So wie ein Piktogramm mit Messer und Gabel für Essen stehen kann oder schöne Kleider einen gehobenen Lebensstandard symbolisieren. Die Vorträge kreisten um das Thema Symbole. Brauchen wir sie? Was können sie uns sagen?
Die Religionswissenschaftlerin
Symbole stehen nicht bloss für etwas, sie beinhalten auch eine Aufforderung; es gibt kulturelle und auch kollektive, religiöse Symbole, es gibt eine populistische Symbolik, die oft mit Vorurteilen einhergeht, und Rituale, in denen Symbole zu Verarbeitungsstätten werden. Deutlich wird das an einem Bild, das die Religionswissenschaftlerin Andrea Stauffacher in ihrem anschliessenden Referat über die Bedeutung von Ritualen in der Flüchtlingskrise zeigt: verhüllte Leichen von ertrunkenen Migranten an einem idyllischen Sandstrand auf Sizilien. Die Bewohner des kleinen, katholisch geprägten Küstenortes, zu dem der Strand gehört, stellten die namenlosen Toten vor ein Problem: Was tun mit jenen, die nicht dazu gehören? Was tun mit jenen, von denen man nicht weiss, wer ihre Familie war, woran sie glaubten und worauf sie hofften.
Man wollte das Richtige tun und tat das, was man immer tat. Der Pater hielt die Totenwache, die Bewohner trauerten, die Andacht hatte als symbolisches Ritual und Bedürfnis eine Bedeutung errungen, die über die religiöse Übereinkunft hinausreichte. Denn von der Katastrophe zu sprechen, schien fast unmöglich: Bei Symbolen und Ritualen gehe es auch um eine «Kommunikationsvermeidung»: «Wenn ein Ritual gelungen ist, muss man nicht darüber reden, was als Nächstes getan werden muss.»
Aus diesem Bedürfnis stellte die Gemeinschaft den Toten ihre Rituale und Symbole gewissermassen zur Verfügung. Die Antwort auf die Frage «Brauchen wir Symbole» lautete: Ja. Sie spenden Trost und Würde.
Die Therapeutin
Eine völlig andere Situation schilderte Dr. Annette Pestalozzi-Bridel: Die Psychiaterin animierte eine Klientin dazu, ihre Depression in Form einer Bildergeschichte in Szene zu setzen. In der märchenhaften Geschichte weist die Patientin verschiedenen Wesen Eigenschaften und Aufgaben zu, die sie unterstützen sollten oder behindern auf der Suche nach der im Meer versunkenen Schatztruhe, die für ihre wiederzuerlangende Selbstbestimmung steht.
Der symbolischen Sprengkraft dieser kindlichen Bilder von Delfinen, Meerjungfrauen, Tintenfischen oder Krokodilen kommt insofern eine grosse therapeutische Bedeutung zu, als sie das Unbewusste, das Gefühlte, das Unausgesprochene besser erreichen und wiedergeben können als Worte. Die Sprache der Bilder ist die früheste, so Pestalozzi-Bridel. Die Antwort lautete auch hier: Ja, wir brauchen Symbole. Denn sie helfen uns, Dinge zu verstehen, bevor wir sie formulieren können.
Der Dichter
Als einen, der die Welt kopfüber betrachtet, bezeichnete der bekannte Schweizer Psychiater Daniel Hell den Büchner-Preisträger Adolf Muschg in einer kurzen einleitenden Laudatio. Ein hässliches Pfadi-Tauchritual, dem sich Muschg als junger Mann ausgesetzt hatte, sei für seine Weltsicht prägend gewesen. Und Muschg selbst ergänzte sogleich, dass er sich mit keiner Figur so sehr identifiziere wie mit der Tarotkarte des an einem Fusse Aufgehängten. Der gut gelaunte 85-Jährige, der an diesem Abend als Ehrengast geladen war, gab sich dann als Partycrasher. Zuerst einmal, indem er den rund 70 anwesenden Besucherinnen und Besuchern im C.-G.-Jung-Institut erklärte, unheilbarer Freudianer zu sein, obschon es sich um eine durch und durch westliche Anschauung handle, der man etwa in Japan gar nichts abgewinnen könne. Der Jungschen analytischen Psychologie attestierte Muschg im Gegenzug eine wesentlich höhere «Konvertibilität».
Und dann, indem er den Philosophen Wittgenstein zitierte: «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» Symbole seien Formen des menschlichen Ausdrucks, so Muschg, über die man eigentlich gar nicht sprechen könne. Es habe mit Zeigen zu tun. Das, was es bedeute, gehe nicht darin auf: «Das Symbol ist keine Allegorie, das Symbol ist die Botschaft selbst.» Als einen der symbolträchtigsten Momente der Literaturgeschichte bezeichnete der Dichter das berühmte Sehnen nach dem «Verweilen des Augenblicks» in Goethes «Faust». Eine Erschöpfung in der Realität der Gegenwart, die sich auch im Alltag zeige, etwa wenn jede und jeder ständig in ihre «Spiegelchen» vertieft seien. In einer an Informationen überschwemmten digitalen Kultur der Gegenwart sieht Muschg das soziale Gedächtnis in Bedrängnis: «Ein Austausch findet nicht mehr statt.» In der Folge entfernte sich der greise, weise Dichter immer etwas mehr von der eigentlichen Fragestellung, was auch der vermeintlich verrenkten Perspektive geschuldet sein mochte. Wichtig war die Feststellung, dass die von Pestalozzi-Bridel zitierte notwendige «Bereitschaft, sich auf ein Symbol einzulassen» auf wackligen Beinen stehen könne. So kämen bei einer symbolischen Geste in unterschiedlichen Kulturkreisen ganz unterschiedliche Bedeutungen und Erwartungshaltungen hinzu.
Er beschrieb damit auch seinen Widerwillen, sich als Individuum ins Allgemeine zu fügen, der ihn als Schriftsteller und Philologen beschäftigte. In einer Zeit, in der sich Versicherungen, Regierungen und Statistiken immer auf eine grösstmögliche Anzahl von Fällen beriefen, drohe die Geschichte eines Einzelnen zu einer vernachlässigten Grösse zu werden, zu der sprichwörtlichen «Quantité négligeable». Heute gebe es schon «Algorithmen, die einem das Gefühl von Individualität bescheren».
Wie war noch mal die Frage ... Brauchen wir Symbole? Gemeint war es vielleicht so: Das Symbol als Verweis auf etwas Allgemeingültiges steht dem Bedürfnis der oder des Einzelnen im Weg, als einzigartig wahrgenommen zu werden. Muschg: «Für das Individuum existiert kein Passepartout.» (Alexander Vitolic)