Die Küsnachterin Susanna Vollenweider wird nächste Woche ihr zweites Buch der «Wagenrad»-Trilogie taufen. Sie führt die Leserschaft in die Zeit der Industrialisierung und noch tiefer in die Familiengeschichte der De Berlans.
Zum Interview erscheint Susanna Vollenweider mit einem blauen A4-grossen Notizbuch. Es ist schon über die Hälfte voll mit Einträgen, Skizzen, Bleistiftzeichnungen. «Dieses Notizbuch hat mir meine Tochter vor zehn Jahren geschenkt», sagt sie, «sie meinte, ich solle anfangen zu schreiben.» Ich, schreiben?, muss sich Vollenweider gedacht haben, obwohl sie natürlich sprachaffin ist. Denn die gebürtige Ostschweizerin hat einst in Zürich Deutsch, Französisch und Englisch studiert. Dazu kam das Fach Geschichte, das Vollenweider ebenfalls fasziniert und das den fruchtbaren Boden ihrer Historientrilogie bildet. «Gesellschaftsthemen interessieren mich, vor allem das 19. Jahrhundert, auf das ich über die französische Literatur gekommen bin: Maupassant, Flaubert, Victor Hugo.»
Aber der Reihe nach: Erst einmal waren da die weissen Seiten ihres geschenkten Buches. Wie füllen? Vollenweider begann mit Gedanken, Gedanken entwickelten sich zu Geschichten, Geschichten wurden zu Recherchen – viel Zeit verbrachte sie im Staatsarchiv –, am Schluss lebten in den historischen Gegebenheiten auch Figuren. Figuren wie Henri De Berlan, ein französischer Soldat. Oder seine Geliebte und spätere Frau Johanna aus Albisrieden. Und dann André, deren gemeinsamer Sohn, der im Teil 2 der Trilogie den Hauptpart übernimmt.
Mit Gedichten begonnen
«Angefangen hatte ich mit dem Schreiben von Gedichten», sagt Vollenweider. Rückblickend war das ein guter Start. Denn Geschichten zu erfinden, gar eine Trilogie mit fortsetzender Geschichte zu schreiben, wo alle Stränge zueinander passen müssen und man kein Detail übersehen darf, ist herausfordernd. «Ich musste sie alle präsent haben, meine Figuren, ihre Geschichten», sagt sie.
So beginnt Teil 1 («Das Wagenrad – ihr Lebensrad») im Jahr 1798 mit der Französischen Revolution und endet im Paris von 1840, mitten im Lauf der Industrialisierung. Im Teil 2, der nun erschienen ist und den Titel «Das Zeitrad» trägt, pendelt der Leser in Zeitsprüngen zwischen Protagonisten der Vergangenheit und der Gegenwart. Teil 3 ist geschrieben, aber darüber verrät die Autorin noch nichts. Doch, was Vollenweiders Stil auszeichnet und das Lesen angenehm macht, ist der Umstand, dass sie nicht einfach Ereignisse aufzählt und beschreibt – wie das in vielen dicken Historienromanen der Fall ist –, sondern dass sie die Menschen im Buch reden und miteinander diskutieren lässt. Und auf diese Weise, also sozusagen im lebendigen Gespräch, werden die geschichtlichen Umstände erklärt. Der Stil rührt daher, dass Vollenweiders Hauptinteresse dem Umgang von Menschen miteinander gilt, dem Klassensystem, und weiter gefasst: dem Anfang unserer Zivilgesellschaft – deshalb beginnt ihre Erzählung in Napoleon Bonapartes Monarchie in Frankreich, vor der Niederschrift einer Verfassung, des Code civil, einer Verfassung für das Volk. «Dieses Stilelement der vielen Zitate und Dialoge im Buch hat mein Verleger speziell gelobt», meint die Autorin. Und gibt sich trotzdem ganz bescheiden. «Stolz bin ich nicht auf meine Bücher, ich bin eher erleichtert.» Schriftstellerkurse hat sie nie besucht, aber im Dialog mit ihrem Mann sei ihr Buch genauso gewachsen. «Ich musste keine Google-Maschine befragen», schmunzelt sie, «mein Gatte wusste oft Rat.»
«Du bist ein tief philosophischer Mensch», habe ihr Gemahl damals zu ihr gesagt, nun sind wir wieder zurück bei den Anfängen von Vollenweiders Schreiben im Jahr 2011, als sie vor diesem leeren blauen A4-Notizbuch sass. «Schreib doch Gedichte über die Zeit.» Warum nicht? Gesagt, getan. Und vor allem, sagt Vollenweider rückblickend: «Ich habe mir auch einfach Zeit gelassen.» Zeit – dieses Thema ist denn auch der rote Faden durch ihre Büchertrilogie. Teil 3, so viel sei verraten, führt Vergangenheit und Gegenwart auf unerwarteten Wegen zusammen.
Vorerst aber tauft Vollenweider nächste Woche ihr zweites Buch. Anwesend sein wird dann auch ihr Verleger Rolf Bächi. «Für mich war es wichtig, das Buch nicht selbst zu verlegen», sagt sie. Denn sie habe den Anspruch gehabt, dass es einer Fachperson gefallen müsse. Und so betrat sie eines Tages die Buchhandlung Orell Füssli in Zürich und fragte die Verkäuferin am Info-Point, ob sie einen guten Verleger kenne. Ja! Und dieser war schliesslich so begeistert, dass er ihr Buch zusammen mit dem Schweizer Buchhändlerverband an der Frankfurter Buchmesse 2019 präsentierte.
Das ist fast auch schon eine Geschichte für sich.