Auf der Terrasse lasse ich meinen Blick über die Hausdächer Richtung See wandern. Seit Tagen herrscht absolute Ruhe. Keine lachenden Kinder auf dem Spielplatz, keine rassigen Fahrradfahrer, kaum ein Spaziergänger.
Doch, plötzlich kommt Bewegung in den Tag. Ein Taxi fährt bei der Gärtnerei vor, wohlverstanden nur mit Chauffeur drin. Derselbe steigt aus, geht in die Gärtnerei hinein und kommt nach ein paar Minuten mit Pflanzen beladen zum Fahrzeug zurück. Er lädt die Farbenpracht ein, steigt selber ein und fährt weg.
Ein spezielles Ereignis in einer ausserordentlichen Zeit. Mein inneres Lächeln hält an. Meine Gedanken kehren zu einem vor Jahren verfassten Gedicht aus meinem Gedichtband zurück, sinnigerweise zum Thema «Zeit». Diese erhält in der momentanen Aktualität neue Dimensionen. Was ist «Zeit»?
sprint versus stagnation
wie rennt sie mir davon
oder mit mir
im sprint
wie möchte ich sie oft gern verlangsamen
bin angekettet an ihr schlepptau
gegen den sog meiner wünsche
ich bin statist im rasanten tempo der zeit
verkommen zur selbst beförderten marionette
bewegung mit eingeschränkter wahrnehmung
vernachlässigung meiner sinne
beherrscht durch die zeit
nicht alleine in diesem gefühl
gruppenempfinden einer ohnmacht
phänomen einer gesellschaft
doch wie weit schreitet die entwicklung voran
im zeitrausch jedes einzelnen
warum wird aus dem sprint des individuums
eine stagnation der gemeinschaft
die zeit behindert mich
wir menschen behindern uns untereinander
die zeit verlangt tempo von mir
um in der gruppe wieder gedrosselt zu werden
wer hemmt das vorwärtskommen
wo bleibt der teamsprint
eskaliert egoismus zur bremse
verkommt die persönliche leistung
zur farce im menschlichen umfeld
verleihen aufgesetzte masken unnahbarkeit
und fördern die wichtigkeit des einzelnen
zulasten des gedeihens
verlust der kreativität
sterben der visionen
tod der gemeinschaft
sprint versus stagnation
und jeden morgen ein sonnenaufgang
nimmermüde die hoffnung
Wird uns allen aktuell vor Augen geführt, dass Stagnation nicht Untergang bedeutet? Bringt nicht Ruhe Besonnenheit? Reflektiertheit? Umsichtigkeit? Die Rückkehr zu den wahren menschlichen Werten?
Öffnet nicht genau der kleinere örtliche Radius des Menschen Inneres? Schade, dass wir einmal mehr leider nur durch eine Krise dazulernen. Lassen wir nebst allem Traurigen und Tragischen diese positiven Prägungen weiter in uns wirken – für immer.
*Susanne Vollenweider führt in Küsnacht das Forum «BooXkey»