Abo bestellen

Vogelfutter sorgt für rote Köpfe

Erstellt von Lorenz Von Meiss |
Zurück

Besonders in der kalten Jahreszeit ist das Füttern von Vögeln eine sinnvolle und tierfreundliche Massnahme. Was auf Balkons und in Privatgärten durch das Aufstellen von Futterhäusern für viel Freude sorgt, kann auf öffentlichem Grund aber genau das Gegenteil bewirken.

Zäher Nebel umhüllt an diesem Novembermorgen die Siedlungen um den Bachwiesenpark an der Grenze zwischen Albisrieden und Altstetten. Anwohner nutzen die morgendlichen Stunden, um ihren Hund auszuführen und schlendern mit angeleintem Vierbeiner durch die Parkanlage. Auf der Bachwiese spielt ein Vater mit seinem Kind Fussball. Rund um das Gemeinschaftszentrum (GZ) sind hinter grossen Absperrwänden Bauarbeiten im Gange. Der Park um das GZ ist beliebter Treffpunkt für Mütter mit ihren Kindern. Man kennt sich. Einige Meter weiter haben die Schrebergärten auf Winterbetrieb umgestellt und unter den Bäumen liegt das Laub.

Grossflächig verteilt

Durch den Nebel fliegt ein Schwarm Tauben über die Dächer der Siedlung und landet punktgenau und mit hörbarem Geflatter auf einer Fläche mit ausgestreutem Vogelfutter.Die Mischung aus Maiskörnern, Sonnenblumenkernen und Gelbhirse wurde grossflächig unter einem Baum verteilt und scheint bei den Tauben Anklang zu finden. Einige Meter weiter in Richtung Pflegezentrum Bachwiesen finden sich weitere mit Vogelfutter bestreute Flächen. Auf dem Fussweg liegen vielerorts zertretene Cashewnüsse, ebenfalls für die gefiederten Tiere gedacht. Die ganze Gegend rund um das GZ Bachwiesen hat für Vögel aller Art über das Jahr reichlich Fut-ter bereitzuhalten. Doch die gefiederten Tiere sind die einzigen, die sich ab den Futteransammlungen freuen.Hundehalter sind verärgert.

Futter lenkt Blindenhund ab

Der Agraringenieur Felix Peter wohnt ganz in der Nähe und geht jeden Morgen mit dem Blindenhund seiner Frau vor die Türe. Der schwarze Labrador Josh trägt eine Glocke um den Hals damit man ihn auch hört.Felix Peter erzählt, was er als Hundehalter von den gestreuten Futtermengen im Quartier hält: «Wenn Josh meine Frau durch die Gegend führt, wird er durch das herumliegende Futter, das er dann auch frisst, häufig von seiner wichtigen Aufgabe als Blindenhund abgelenkt», sagt er genervt. Auch Hundehalterin Eva Saluz weiss sofort Bescheid, als sie auf das herumliegende Vogelfutter angesprochen wird. Ihre Border-Terrier-Hündin Wanda frisst die Futtermischungen noch so gerne vom Boden: «Die ausgestreuten Cashewnüsse, aber auch das mit Vogeldreck durchmischte Futter sorgt bei meinem Hund für Magenverstimmung mit Durchfall», sagt sie. Die aktuelle Situation im Bachwiesenpark empfindet sie schon seit Jahren als unhaltbaren Zustand und findet das Futterstreuen eine «Schweinerei», wie sie ausdrücklich sagt. Umliegende Institutionen wie das Alterszentrum Bachwiesen, aber auch der Abwart des nebenan gelegenen Freilager-Areals haben bereits Schritte unternommen, um die übermässige Fütterung und die daraus resultierende Ansammlung von Stadttauben auf ihren Gebieten in den Griff zu bekommen. Kein Grund, Fütterung einzustellenGestreut werden die Futtermengen allmorgendlich von einer in der Umgebung wohnhaften Tierfreundin. Namentlich möchte die Dame in dunkler Winterjacke nicht genannt werden und auch nicht mit Bild in dieser Zeitung erscheinen. Ein Gespräch mit ihr bei einem morgendlichen Quartierbesuch gibt Auf-schluss über ihre Beweggründe der ganzjährigen Vogelfütterung. Wer im Bachwiesen-Quartier lebt und die Parkanlage regelmässig aufsucht, hat die Dame mit höchster Wahrscheinlichkeit schon einmal bemerkt. Die Vogelfütterin bezieht sich bei ihren Fütterungspraktiken auf den deutschen Wissenschafter und preisgekrönten Ornithologen Peter Berthold, der die These vertritt, dass das natürliche Nahrungsangebot für Wildvögel seit Jahrzehnten schon rückläufig sei. Weiter hält Bethold in seinen Publikationen fest, dass landwirtschaftliche Flächen durch die Nutzung von Pestiziden für Vögel keine ausreichende Nahrungsgrundlage mehr bilden: «In den Achtzigerjahren war das natürliche Futterangebot für Vögel noch massenhaft vorhanden, heute müssen wir für die Vögel zusätzliche Futterquellen schaffen» sagt die Frau, die grössere Mengen davon in ihrem Einkaufstrolley mitführt. Die Berechtigung, Vögel auf Stadtgebiet zu füttern, sieht die Tierfreundin, wie sie sich selbst bezeichnet, gegeben: «Solange es nicht verboten ist, Vögel zu füttern, sehe ich keinen Anlass damit aufzuhören. Wenn es eines Tages ein Verbot geben sollte, werde ich mich selbstverständlich daran halten», sagt sie, bevor sie ihr morgendlichen Fütterung im Bachwiesenpark fortsetzt. Ein stadtweites Füt-terungsverbot von Vögeln und Tauben bedeutet für sie nichts anderes als Tierquälerei.

Weitverbreitete und beliebte Unternehmung

Vögel zu füttern ist eine weitverbreitete und beliebte Unternehmung, um den gefiederten Tieren in der kalten Jahreszeit ein ausreichendes Futterangebot anzubieten und so wohlgenährt durch den Winter zu bringen. Diverse Fachliteratur und Ratgeber informieren über die richtige Art und Weise des Futtergebens. Auch die schweizerische Vogelwarte gibt auf ihrer Homepage Tipps über die sachgemässe Zufütterung in Zeiten mit Nahrungsmangel. In vielen Privatgärten finden sich Vogelhäuser, die Meisen, Finken und Spatzen im Winter als Futterquelle dienen. Bei Stadttauben, die in einer urbanen Umgebung leben, gelten andere Fütterungsregeln. Grün Stadt Zürich informiert auf ihrer Webseite über den Umgang mit städtischen Wildtieren, zu welchen auch Tauben zählen. Unter anderem steht in den Informationen, dass das Füttern von Tauben zu unterlassen sei, da durch eine Fütterung auch Na-getiere wie Ratten und Mäuse vom Futter angelockt würden. Weiter habe das Füttern von Tauben im Winter zur Folge, dass sich der Tierbestand nicht wie ohne Fütterung reduziere, sondern konstant bleibe.

Machtloser Staat

Bei der zuständigen Wildhut der Stadt Zürich ist man sich der Situation rund um das Füttern von Tauben im Bachwiesenpark bewusst.Trotzdem konnte gegen die Fütterung von Tauben und anderen Wildvögeln bislang nichts unternommen werden: «Wir sensibilisieren die Bevölkerung und rufen dazu auf, aufs Füttern und besonders aufs übermässige Füttern zu verzichten. Daneben suchen unsere Wildhüter das Gespräch mit Personen, die übermässig füttern, und erklären ihnen die Konsequenzen ihres Verhaltens», sagt Martina Bosshard, Kommunikationsbeauftragte von Grün Stadt Zürich.

Jagdgesetz soll Füttern verbieten

Stand heute ist das Füttern von Tauben in der Stadt Zürich nicht verboten. Das geltende kantonale Jagdgesetz gibt keine rechtliche Grundlage, das Füttern von Tauben generell zu verbieten.Dem Ärgernis vieler Bewohner und Gewerbetreibenden im Bachwiesen-Quartier soll laut Angaben der Dienstabteilung bald Abhilfe geschaffen werden. Gemäss Grün Stadt Zürich soll voraussichtlich nächstes Jahr ein neues Jagdgesetz in Kraft treten. Damit soll das Taubenfüttern verboten werden. Ausnahmen bleiben vorbehalten. Ein neues Jagdgesetz gäbe der Stadt Zürich mehr Handlungsspielraum in dieser Sache: «Wir gehen davon aus, dass wir mit dieser rechtlichen Grundlage besser in der Lage sein werden, gegen das übermässige Füttern von Tauben vorzugehen», sagt Martina Bosshard weiter.Letztlich wird wohl nur ein allgemeines Fütterungsverbot in Parkanlagen und sonstigen Plätzen an dem im Bachwiesen-Quartier beschriebenen Zustand etwas ändern. Überall dort, wo Menschen mit unterschiedlichen privaten Interessen und Meinungen auf öffentlichem Grund zusammentreffen, ist es letztlich nur die Gesetzgebung, welche eine friedvolle Koexistenz für alle gleichermassen regeln kann. Auch wenn Toleranz und Rücksicht im gesellschaftlichen Leben wichtige Grundwerte bilden, gehen jene immer nur so weit, wie ein jeder sie für angebracht hält.

Tipps zur Vogelfütterung: www.vogelwarte.ch