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«Wer die Gegenseite versteht, versteht auch sich selbst besser»

Erstellt von Tobias Stepinski |
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Der Küsnachter Henri Hartmann steht im nationalen Finale von «Jugend debattiert». Er diskutiert gern – manchmalzu gern, sagen seine Freunde. Und mit diesem Youtuber würde er besonders gerne einmal an einem Tisch sitzen.

Hätte Henri Hartmann einen Anzug an, man könnte ihn für einen jungen Politiker halten. Doch der 16-Jährige aus Küsnacht trägt einen schlichten Pullover, ist höflich, wach – und denkt in Argumenten. Im April vertritt er die Kantonsschule Küsnacht beim nationalen Finale von «Jugend debattiert» in Bern – organisiert von Young Enterprise Switzerland (YES).

Henris Debattierreise begann eher zufällig. «Beim Schulfinale in Küsnacht wurde ich überredet mitzumachen und habe gemerkt, wie spannend das ist.» Was als Versuch begann, wurde schnell zur Leidenschaft. Heute trainiert Henri regelmässig – und denkt bei jedem Thema in Pro und Contra.

Reden, zuhören, überzeugen

«Man lernt beim Debattieren nicht nur, seine Meinung zu vertreten, sondern auch zuzuhören», erklärt er. Besonders spannend findet er es, wenn er gezwungen ist, die Gegenseite zu vertreten: «Das zwingt einen dazu, die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Wer die Gegenseite versteht, versteht auch sich selbst besser», ist sich  der Küsnachter sicher.

Das Programm «Jugend debattiert» richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II und fördert politische Bildung, rhetorische Fähigkeiten und kritisches Denken. Wer es ins nationale Finale schafft, muss sich vorgängig mit drei Themen auseinandersetzen  – zum Beispiel mit der Frage, ob die Schweiz eine nationale Krankenkasse einführen, den Selbstversorgungsgrad auf 70 Prozent erhöhen oder Sicherheit über Privatsphäre stellen soll. Die Themen werden einen Monat im Voraus bekannt gegeben – ob man Pro oder Contra vertritt, erfährt man aber erst zwei Tage vor dem Finale in Bern. «Ich lese jetzt schon fleissig zu allen Themen und schreib mir Argumente beider Positionen auf», sagt Henri.

Der Küsnachter Schüler weiss, dass es auch auf den Ton ankommt: «Ich bin eher der Typ, der ruhig überzeugen will – nicht der, der die Gegnerin unbedingt zerlegen muss», sagt er. Am Anfang einer Debatte höre er lieber erst mal zu: «Ich denke gerne kurz nach, bevor ich etwas sage. Erst dann bringe ich mein Argument auf den Punkt», sagt der 16-Jährige. Wenn es sein müsse, könne er aber auch schlagfertig reagieren, ist er sich sicher.

Lieber Youtuber als Bundesrat

Henri debattiert nicht nur im Wettbewerb – auch zu Hause und im Freundeskreis wird rege diskutiert. Besonders häufig dreht es sich dabei um Themen wie Tierethik oder den Fleischkonsum. «Das sind Themen, mit denen ich mich intensiv auseinandergesetzt habe. Ich diskutiere da wirklich gerne – vielleicht manchmal ein bisschen zu gerne», sagt er mit einem  Schmunzeln. «Der eine oder andere meiner Freunde hat schon mal gemeint: Jetzt reicht’s, Henri.» Dann, so erzählt er, könne er aber auch gut ­einen Gang zurückschalten, sich «aufs Maul setzen».

Zur Vorbereitung auf das grosse Finale gehört weit mehr als bloss die Recherche und das Ausformulieren von Argumenten. Auch Körpersprache, Stimme und sicheres Auftreten spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, das Publikum und die Jury zu überzeugen. Genau daran feilt Henri derzeit intensiv – unter anderem am Vorbereitungswochenende in Luzern, das von YES organisiert wird. Dort trainiert er gezielt auch seine nonverbale Kommunikation.

«Ich muss da noch deutlich besser werden», gibt er ehrlich zu. «Am Ende zählt nicht nur, was man sagt, sondern vor allem auch, wie.» Unterstützung erhält Henri dabei auch von seinem Vater: «Er gibt mir viele wertvolle Tipps – zum Beispiel, wie man in stressigen Momenten ruhig bleibt und auf provokative Angriffe kontrolliert reagiert», erzählt Henri.

Eigene Meinung zu hinterfragen

Gefragt, ob er lieber mit einem Bundesratsmitglied oder mit Donald Trump debattieren würde, muss Henri nur schmunzeln. Wirklich faszinierend fände er aber ein Gespräch mit jemand ganz anderem: «Ich würde wahnsinnig gern einmal mit Robert Marc Lehmann an einem Tisch sitzen und diskutieren. Er ist Youtuber und Meeresbiologe – und bringt Themen wie Tierethik und Umweltschutz in die breite Öffentlichkeit, mit Haltung und Klarheit.»

Am Ende hat Henri noch eine Botschaft an andere Jugendliche: «Debattieren schult nicht nur das Denken und Argumentieren, sondern vor allem auch das Zuhören», sagt er und erklärt weiter: «Man lernt, andere Sichtweisen ernst zu nehmen, zu respektieren und die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen.»