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«Wir sind auf einem guten Weg»

Erstellt von Rahel Köppel |
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Claire Garwacki hat anlässlich des Weltfrauentags Anfang März ein Video lanciert, das wegen unbewusster Geschlechtervorurteile Wellen geschlagen hat. Die 40-jährige Headhunterin aus Küsnacht verrät ihre zukünftigen Projekte.

«War Ihr gutes Aussehen ein Vorteil für Ihre Karriere?» oder «Haben Sie sich schon mal überlegt, Teilzeit zu arbeiten?»: Diesen und ähnlichen Fragen müssen sich zehn männliche CEOs, darunter zwei aus Küsnacht, im Video «In Her Chair» stellen. ­Fragen, die sich viele Frauen im Arbeits­alltag bereits anhören mussten. Initiiert wurde dieses Video von Claire Garwacki. Sie wohnt seit fünf Jahren mit ihrer Familie in Küsnacht, ist Gründerin der Firma Bellevue Executive Search und hat den ­augenöffnenden Beitrag anlässlich des Weltfrauentags gedreht.

Die Idee zu einem solchen Projekt hatte die Headhunterin schon länger. «Dann war ich letzten September für drei Wochen mit meiner Zeit etwas frei und nutzte sie, um die Idee umzusetzen.» Schliesslich ging es dann doch fünf Monate, bis das ­Video fertig war. Das Ziel, den Beitrag auf den Weltfrauentag fertigzustellen, konnte Garwacki aber erfüllen. «Viele haben mir gesagt, dass das nicht möglich sei in dieser kurzen Zeit», so die Rekruterin. «Sie sagten, das werde erst im September fertig.» Diesen Leuten hat sie nun das Gegenteil bewiesen. 

Die Probleme humorvoll aufzeigen

Vergangenes Jahr ist Claire Garwacki 40 Jahre alt geworden. «Zu diesem Anlass wollte ich etwas machen, so was wie einen Milestone», erzählt sie. Auch deshalb hat sie das Video jetzt umgesetzt. «In meinem Job als Rekruterin muss ich sehr neutral sein», sagt Garwacki. Da sei es teilweise schwierig, so viele unfaire Situationen im Alltag zu beobachten, ohne etwas dazu ­sagen zu dürfen. «Ich habe mit dem Video versucht, die Probleme aufzuzeigen, aber trotzdem humorvoll zu bleiben.» Dabei hat sie sich auf die Ungerechtigkeiten in der Wirtschaft fokussiert.

Garwacki erkennt aber auch beispielsweise bei ihren zwei Kindern in der Schule bereits gewisse Vorurteile, die existieren. «Zum Beispiel, dass Mädchen nicht Fussballspielen sollen.» Auch werde ganz selbstverständlich immer sie als Mutter angerufen, wenn in der Schule etwas mit den Kindern sei, und nicht Garwackis Mann, der Vater. Er wäre in solchen Situationen eigentlich eher die Ansprechsperson, da er mehr zu Hause ist. «Es gibt auch Whatsapp-Gruppen mit Müttern, in die mein Mann nie eingeladen wird», erzählt Garwacki. 

Auch sie selbst erlebte bereits zahlreiche Situationen, in denen sie diese Ungerechtigkeiten zu spüren bekam. «Ich habe mal den Zuschlag für eine Stelle nicht erhalten, weil ich zwei Kinder habe», sagt sie. Ein anderer Grund sei damals nicht genannt worden.

Der Unbewusstheit bewusst sein

Garwacki spricht den Begriff «uncon­scious bias» an, also unbewusste Vorurteile, die jeder Mensch hat. «Auch eine überzeugte Feministin hat zum Beispiel Vorurteile gegenüber Frauen», sagt Garwacki. Das sei nicht zu vermeiden und normal, weil man mit gewissen Rollenbildern aufwachse. «Es ist sogar biologisch erklärbar», sagt sie. Es sei ein Ergebnis der Evolution. Das Gehirn könne nicht die Welt jeden Tag von null auf lernen. «Man weiss auch unbewusst, dass man aufpassen muss, wenn man Motorgeräusche aus der Nähe hört», so Garwacki. Wie soll man also mit diesen unbewussten Vorurteilen am besten umgehen? «Das Wichtigste ist, dass man sich bewusst ist, dass man diese Vorurteile eben hat», erklärt die Rekruterin. «Jemand, der behauptet, er sei völlig unvoreingenommen, sagt nicht die Wahrheit.»

Die allerersten Unternehmensschulungen seien immer mehr am Kommen, um ebensolchen unbewussten Situationen entgegenzuwirken. In manchen Unternehmen einigen sich die Mitarbeitenden zum Beispiel auf einen Code oder ein Signal, was «Diese Situation ist unangenehm» bedeutet. Es gibt auch Workshops mit Rollenspielen, die mit viel Humor durchgeführt werden.

«Themen oft noch tabuisiert»

«Wir sind auf einem guten Weg zu mehr Gleichberechtigung bei den Geschlechtern», findet Garwacki. Es habe ein grosser Wandel stattgefunden in den letzten Jahren. «Es war auch deshalb einfach, ein ­Video darüber zu machen, weil die Gleichstellung von Frau und Mann in der Arbeitswelt momentan ein so grosses Thema ist.» Es gebe andere Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt, über welche noch nicht in diesem Ausmass gesprochen werde. «Wenn zum Beispiel ein Kandidat bei einem Vorstellungsgespräch einen Akzent hat oder eine andere Hautfarbe, ist es für ihn meist schon schwieriger.» Auch das Aussehen oder ob jemand übergewichtig ist, habe immer noch einen grossen Einfluss. «Das Geschlecht ist eine Voreingenommenheit unter vielen anderen, die oft noch tabuisiert werden.»

Garwacki kann sich vorstellen, weitere Projekte zu anderen Ungerechtigkeiten zu realisieren. Denn Themen, die sie gerne mal ansprechen würde, gibt es genug.